“Politisch belastetes Verhältnis”

Islamexperte zu Vorwürfen gegen Islamverband Ditib“Politisch belastetes Verhältnis”

Der größte deutsche Islamverband Ditib kommt nicht aus den Schlagzeilen. Nach einem Spionagevorwurf ermittelt nun auch die Bundesanwaltschaft. Der Kölner Islamexperte Thomas Lemmen spricht von einem “politisch belasteten Verhältnis”.

domradio.de: Von außen ist es manchmal schwer zu verstehen, welche Rolle eine Organisation wie die Ditib spielt. Wie steht denn der Verband zur Türkei und zur Regierung Erdogan in Ankara?

Dr. Thomas Lemmen (Theologe und Experte für christlich-islamischen Dialog im Erzbistum Köln): Die Verbindung der Ditib zur türkischen Politik ist offenkundig. Ditib kann man als Auslandsorganisation der türkischen Religionsbehörde Dyanet betrachten. Das ergibt sich aus den internen Strukturen der Ditib. Die Satzung räumt der Dyanet große Einflussmöglichkeiten ein. Das ist seit 30 Jahren auch bekannt und für die deutsche Politik keine Überraschung. Es ist zum Teil auch gewollt, weil man in den 1980er Jahren sagte, besser mit der säkularen Organisation als mit oppositionellen Kräften zusammenzuarbeiten. Das Problem ist nur, dass sich das Verhältnis von Religion und Politik in der Türkei verändert hat. Dyanet und Ditib sind heute letztlich Instrumente der türkischen Regierungspolitik.

domradio.de: Man könnte auf der anderen Seite ja auch sagen: Die Türkei ist ein Rechtsstaat und die Ditib eine türkische Organisation. Was spricht denn dagegen, mit der eigenen Regierung zusammenzuarbeiten?

Lemmen: Das widerspricht dem deutschen Staatskirchenrecht. Die Eigenständigkeit der Religionsgemeinschaften von staatlichen Stellen ist ein Grundsatz des Religionsverfassungsrechts. Das Problem ist, dass es nicht offen kommuniziert wird, dass es so ist. Nach außen hin behauptet die Ditib, eine unabhängige Organisation zu sein. In der Tat ist es aber so, dass die türkische Religionsbehörde Dyanet, und damit der türkische Staat, in die internen Angelegenheiten der Ditib hineinregieren kann.

domradio.de: Es geht nun ganz konkret um die “versehentliche” Weitergabe von Informationen über Gülen-Anhänger, die für den gescheiterten Putsch verantwortlich gemacht werden, an die türkische Regierung. Mal ganz realistisch gesprochen: Was wird das für Konsequenzen haben? Wird die türkische Regierung jetzt Gülen-Anhänger in Deutschland verfolgen?

Lemmen: Die Weitergabe der Information ist zunächst einmal kein Versehen gewesen, sondern eine geplante Aktion. Es gibt ein Schreiben der Religionsbehörde Dyanet an die türkischen Auslandsvertretungen mit der Aufforderung, innerhalb einer Woche Daten und Namen von Gülen-Anhängern mitzuteilen. Das ist dann über die Auslandsvertretungen auch an die Imame der Ditib weitergeschickt worden. Diese Imame, die vor Ort tätig sind, sind eben keine Mitarbeiter der Ditib, sondern Mitarbeiter der Religionsbehörde Dyanet und damit auch weisungsgebunden. Das heißt, sie müssen den Anweisungen, die über die Auslandsvertretungen kommen, Folge leisten. Das scheint nun in größerem Stil der Fall gewesen zu sein, so dass man nicht von einem Versehen sprechen kann. Allerdings muss man sagen, dass Ditib auch als Organisation darauf nach meiner Einschätzung wenig Einfluss hatte, denn die Imame sind eben keine Mitarbeiter der Ditib, sondern der Dyanet. Aber die Ditib wird darüber Bescheid gewusst haben, da der Vorsitzende der Ditib auch ein Mitarbeiter der Dyanet und damit des türkischen Staates ist.

domradio.de: Wenn jetzt Daten weitergegeben wurden, kommen dann Konsequenzen auf die Ditib-Mitarbeiter zu?

Lemmen: Davon ist auszugehen. Wir wissen ja, dass es nach dem gescheiterten Putschversuch massenhaft Entlassungen in der Türkei von Personen gegeben hat, denen man nachsagt, der Gülen-Bewegung anzugehören. Es hat Verhaftungen gegeben und wir haben auch erfahren, dass sich nun Menschen, die der Gülen-Bewegung angehören, nicht mehr in Ditib-Moscheen hineintrauen, weil sie dort Konsequenzen befürchten. Es ist nicht unrealistisch, dass tatsächlich diese Daten in der Türkei ausgewertet und zu strafrechtlichen Verfahren genutzt werden.

domradio.de: Sie sind zuständig für den interreligiösen Dialog im Erzbistum Köln. Wie steht das Bistum denn zur Ditib?

Lemmen: Wir haben im Erzbistum Köln lange und zum Teil auch sehr gute Kontakte. Es gibt auf der Ortsebene viele gelungene Beispiele des interreligiösen Dialogs. Wir ermuntern auch die Menschen, diesen Dialog zu führen. Allerdings stehen wir dieser politischen Verquickung sehr kritisch gegenüber, denn sie widerspricht dem, was Religionsgemeinschaften in Deutschland ihrem Wesen nach eigentlich sein sollen – unabhängig vom Staat. Es ist für uns schwer hinzunehmen, dass es dort eine so enge Verbindung gibt. Das belastet natürlich schon das Verhältnis, wenn wir wissen, dass wir mit einer Organisation zu tun haben, die von der türkischen Innenpolitik maßgeblich mitbestimmt wird.

Das Interview führte Silvia Ochlast.

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