Ein zerrissenes Land. Fünf Fragen und Antworten zum Jemen-Krieg

Von Joachim Heinz (KNA) Bonn (KNA) Vor zwei Jahren, am 25. März 2015, griff Saudi-Arabien erstmals aktiv in den Krieg im Nachbarland Jemen ein. Zwar sorgen seither die Luftschläge der von den Saudis angeführten Koalition immer wieder für Schlagzeilen. Aber über die Hintergründe des Konflikts, der schon länger andauert, ist nur wenig bekannt. Ein Grund, weswegen die Initiative Nachrichtenaufklärung das Thema in ihre aktuelle Top Ten der “Vernachlässigten Nachrichten” aufnahm. Die Katholische NachrichtenAgentur (KNA) beantwortet einige Fragen zum Krieg im Jemen.

Wer ist an den Kämpfen im Jemen beteiligt?

Die Bonner Islamwissenschaftlerin und Jemen-Expertin Marie-Christine Heinze nennt sechs größere Gruppen. Im Kern geht es ihnen um Zugang zu Macht und den wenigen Ressourcen des bettelarmen Landes, wie die Leitern des Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO) erläutert. Am häufigsten fällt derzeit der Name der Huthi-Rebellen. Dabei handelt es sich um Kämpfer aus dem Norden des Jemen, die bereits zwischen 2004 und 2010 mehrfach gegen den damaligen Präsidenten Ali Abdullah Salih zu den Waffen griffen. Die Huthis sind nach einer Familie benannt, der Anfang der 2000er-Jahre prominenter auf den Plan trat. Sie unterhalten Kontakte zum Iran, agieren aber eigenständig. Unterstützt werden die Huthis von Teilen der unter Salih aufgebauten Sicherheitsdienste, die diesen weiterhin unterstützen. Dadurch erhalten die Rebellen Zugang zu den unter Salih angelegten Waffendepots; andere haben sie selbst erobert. Die “legitime Regierung” unter Salihs Nachfolger Abed Rabbo Mansur Hadi, der 2012 als Übergangspräsident an die Macht kam, um ein Abgleiten des schon damals zerrissenen Jemen in einen Bürgerkrieg zu verhindern, stellt die dritte Partei. Präsident Hadi und diese Regierung genießen internationale Anerkennung und Unterstützung, auch wenn sie sich derzeit hauptsächlich außerhalb des Jemen aufhalten. Die “Südliche Bewegung” verfolgt seit spätestens 2009 in unterschiedlichen Abstufungen die Loslö- sung des Südjemen vom nördlichen Landesteil – ursprünglich mit friedlichen Mitteln, seit dem Vormarsch der Huthis 2015 zunehmend auch mit Waffengewalt. Im Süden liegen große Teile der wenigen Gas- und Erdölvorkommen des Jemen. Hinzu kommen als fünfte Partei salafistische Milizen und Al-Kaida, die gegen die Huthis kämpfen und in Teilen der Bevölkerung ein vergleichsweise hohes Ansehen genießen, weil sie im Gegensatz zu staatlichen Stellen ein Minimum an Recht und Ordnung in ihren Einflussgebieten etablieren konnten. Der “Islamische Staat” (IS) konnte nach den Worten von Heinze im Jemen bislang kaum Fuß fassen, hat jedoch gleichwohl eine begrenzte Präsenz. Schließlich gibt es noch die Muslimbrüder, die sich in der Islah-Partei versammeln. Einstmals größte Oppositionspartei des Landes, wurde sie unter der Übergangsregierung an der Macht beteiligt. Unter anderem aufgrund mangelnder Kooperationsbereitschaft der Koalitionspartner verschlechterte sich die Lage der Bevölkerung immer weiter, was letzten Endes die Huthis stärkte. Die Islah-Partei hält sich derzeit politisch aus dem Konflikt heraus, mit ihr affiliierte Stammesmilizen kämpfen jedoch gegen die Huthis.

Was haben die Auseinandersetzungen mit Religion zu tun?

Beim Krieg im Jemen handelt es sich nicht um einen Religionskrieg. Allerdings lassen sich einige Konfliktlinien aus der Geschichte heraus erklären, die eng mit den im Jemen vorherrschenden Konfessionen verbunden ist. Bis 1990 war der Jemen zweigeteilt. Der Norden wurde mehr als 1.000 Jahre durch ein Imamat beherrscht, das von der religiösen Elite (Prophetennachkommen) schiitischer Zaiditen regiert wurde. Die Familie der al-Huthi gehört zu dieser Elite. Die Zaydiyya wurde nach der Donnerstag, 23. März 2017 Seite 51 Revolution gegen das Imamat in den 1960er-Jahren politisch, wirtschaftlich und kulturell-religiös marginalisiert. Die Huthi-Familie sieht sich als Verteidiger dieser Interessen.

Welche Rolle spielen auswärtige Mächte?

Am 25. März 2015 griff Saudi-Arabien erstmals offen in den Konflikt im Jemen ein. Das Land führt zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Koalition an, die über massive Schläge aus der Luft die “legitime Regierung” des Jemen wieder an die Macht bringen will. Zu den Motiven der Saudis schreibt der Publizist Sebastian Sons in seinem unlängst erschienenen Buch “Auf Sand gebaut”, das Königshaus wolle seine Stellung als Regionalmacht im arabischen Raum festigen. Zudem betrachteten die sunnitischen Saudis die schiitischen Huthis als “Agenten des Iran”. Unterstützung erfährt die Koalition unter anderem von den USA, Großbritannien und Frankreich. Rüstungslieferungen kommen aber auch aus Deutschland. Diese sorgen laut Ansicht von Kritikern maßgeblich mit dafür, dass die saudische Luftwaffe Angriffe im Jemen fliegen kann.

Wie sieht die aktuelle Bilanz der Kämpfe aus?

Allein seit März 2015 sind laut UN-Angaben 10.000 Menschen ums Leben gekommen, darunter 4.700 Zivilisten; rund 70 Prozent der 27 Millionen Einwohner sind inzwischen auf humanitäre Hilfe angewiesen, Hunger breitete sich aus, Hunderttausende mussten ihre Heimat verlassen. Schon zuvor hatte der Vormarsch der Huthis auf Sanaa und später bis nach Aden zahlreiche Opfer gefordert; die Kämpfer gingen mit äußerster Brutalität vor. Verletzte und Tote gibt es auch auf saudischer Seite durch von Huthis abgefeuerten Raketen. Dar- über dringen allerdings kaum Nachrichten nach außen. Helfer und Nichtregierungsorganisationen beklagen zudem immer wieder Angriffe der saudischen Luftwaffe auf zivile Ziele wie Krankenhäuser oder Schulen. Diese Angaben belegen auch die Zahlen des “Yemen Data Project”. Dort tragen Sicherheitsexperten, Menschenrechtler und Wissenschaftler Details zu den Angriffen zusammen. Die Liste reicht inzwischen bis Dezember 2016 und umfasst mehr als 10.500 Einträge. Experten wie der Denkmalschützer und Architekt Tom Leiermann sorgen sich zudem um den Erhalt der historischen Bausubstanz, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Auch sie ist schon unter Beschuss geraten. Dauere der Konflikt weiter an, fehle es zudem an Mitteln zum Erhalt der mehrstöckigen, jahrhundertealten Wohnhäuser aus Lehmziegeln, so Leiermann im aktuellen “Jemen-Report” der Deutsch-Jemenitischen Gesellschaft.

Gibt es Hoffnung auf Frieden?

Die Lage ist extrem kompliziert, der UN-Sonderbeauftragte für den Jemen, Ismail Ould Sheikh Ahmed, rief unlängst via Twitter erneut dazu auf, wenigstens verlässliche Korridore für die humanitäre Hilfe einzurichten. Die politischen Bemühungen zu einer Lösung des Konflikts wirken festgefahren; die Resolution 2216 des UN-Sicherheitsrates vom April 2015 scheint keine Basis für weitere Verhandlungen zu bieten. Sie stützt die “legitime Regierung”. Die Huthis, so formuliert es Islamwissenschaftlerin Heinze, “kämpfen dagegen ums Überleben”.

(KNA – rknml-89-00018)