ARTE-Doku über die Jagd nach untergetauchten IS-Kämpfern

Die Mörder leben heute mit uns  Von Katharina Dockhorn (KNA) Straßburg (KNA)

Politiker wie Justizminister Heiko Maas waren sich im Herbst 2015 sicher, dass unter den Flüchtlingen keine Terroristen seien. Der Versuch der Beruhigung endete jäh am 13. November 2015 in Paris. Mehrere der Verbrecher, die damals 130 Menschen erschossen, hatten sich unter die von Krieg und Leid vertriebenen Menschen gemischt. Einstige oder Noch-Angehörige des IS und anderer militanter islamistischer Organisationen könnten durch eine Liste identifiziert werden. Der Deutschsyrer Nidal Kouba hütet sie wie einen Schatz. Wer sie geschrieben hat, wann sie erstellt wurde und wie er an das brisante Dokument gelangen konnte, bleibt im Dunkel. Die Filmemacher Ahmet Senyurt und Ulrich Hagmann stellen diese Frage in ihrer Reportage nicht.

Da die deutschen Behörden der Liste lange misstrauten, machte sich Kouba selbst zum Fahnder. Der Film folgt ihm über mehrere Monate bei seinen Recherchen – immer in der Hoffnung, auf den großen Coup: die Enttarnung eines untergetauchten IS-Mannes. ARTE strahlt den Film “Nidals Liste – Gotteskrieger in Europa” des Bayerischen Rundfunks am 7. November um 21.35 Uhr aus. Nidal Kouba wurde in Syrien geboren und wuchs in Schleswig-Holstein auf. 2011 schloss er sich der Freien Syrischen Armee an und kämpfte vor Ort gegen Assad. Die Mehrzahl der Kämpfer sei aus dem Ausland gekommen, stellt ein Syrer fest.

Ihn verdächtigt Nidal, 2014 von der Freien Syrischen Armee zu einer islamistischen Brigade gewechselt zu sein. Verpflegung und Sold waren besser, was auch Nidal bestätigt. Es sind solche Nebensätze, die den Konflikt in Syrien in neuem Licht erscheinen lassen könnten. Sie haben die Sprengkraft, einen Großteil der vermeintlichen Gewissheiten infrage zu stellen, die der Bevölkerung im Westen durch Politiker und Medien vermittelt wurden. Das beginnt beim Bild der Freien Syrischen Armee, die aus den Demonstrationen gegen das Assad-Regime durch die Syrer selbst hervorgegangen sein soll. Auch die erbitterten Kämpfe um Aleppo erscheinen in einem anderen Licht. Durch die Reportage entsteht das Bild, dass sich im Osten der Stadt Tausende Kämpfer verschanzt hatten, die von der Freien Syrischen Armee zum IS, zu Al Qaida und anderen islamistischen Verbänden übergelaufen waren. Die Filmemacher klopfen solche Aussagen nicht auf ihren Wahrheitsgehalt ab. Sie folgen Nidal Kouba auf seinem Kreuzzug.

Er stützt sich auf ein Netz von Informanten, die ihn über den Verdacht informieren, Syrer hätten sich mit falschen Identitäten Asyl oder den Aufenthaltsstatus erschlichen oder die Mitgliedschaft in islamistischen Organisationen verschwiegen. Nidal Kouba, dessen Beruf nicht genannt wird, schwingt sich zum Richter auf. Er selbst schätzt ein, ob von den Männern, mit denen er oftmals einst selbst kämpfte, heute noch Gefahr ausgeht. Er entscheidet, wen er bei der Polizei anzeigt. Die Behörden haben im Laufe der Jahre ihr Misstrauen aufgegeben; regelmäßig sagt er in Ermittlungsverfahren und vor Gericht aus. Moralisch bleibt dies zumindest heikel. Das deuten die Filmemacher auch an. Insgesamt zeichnen sie aber eher das Bild eines klassischen Helden, der selbstlos die Täter verfolgt.

Offenbar ist ihnen eine andere Botschaft wichtiger: Sie vergleichen die aussichtslose Lage von Flüchtlingen, die heute in Athen leben, mit der von Syrern, die es nach Deutschland und Schweden geschafft haben. Während das Paar in Griechenland, das niemals im Bürgerkrieg kämpfte, angesichts der persönlichen Lebensumstände Verständnis für den IS aufbringt, verliert die islamitische Terrororganisation ihre Faszination auf einen Syrer, der dort für sie gekämpft hatte und heute am Bodensee Deutsch lernt. Integration und eine Zukunftsperspektive können Syrern eine andere Perspektive auf die Welt vermitteln, die beim IS ihr Auskommen suchten und sich anpassten. Menschen können sich irren und verdienen eine zweite Chance. Doch wer will über ihre Verbrechen richten?

Im Moment sind es Richter in westlichen Staaten. Letztlich müssen dies die Syrer aber als Teil des anstehenden Versöhnungsprozesses selbst übernehmen.

(KNA – rlklr-89-00107)