Bestens vernetzt. Historiker Borgolte soll Berliner Islam-Institut aufbauen

Von Christoph Arens (KNA) Berlin (KNA) Für ihn gehört der Islam zu den Fundamenten deutscher und europäischer Kultur. Als Mittelalterhistoriker mischt sich Michael Borgolte (68) ungewöhnlich oft in aktuelle Konflikte ein und widerspricht dabei der AfD und Politikern, die auf Abgrenzung setzen. Jetzt soll der Wissenschaftler federführend den Aufbau des neuen Instituts für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin übernehmen. Als hauptamtlicher Gründungsdirektor wird er die Arbeitsgruppe zur Errichtung des Instituts leiten, wie die Universität am Montag ankündigte. Borgolte war von 1991 bis 2016 Professor für Geschichte des Mittelalters an der Humboldt Universität und ist dort weiterhin als Senior Researcher tätig. Er gilt im Berliner Wissenschaftsbetrieb als bestens vernetzt. 2012 gründete er mit seiner Frau die “Michael-und-Claudia-Borgolte-Stiftung zur Förderung der Geschichtswissenschaften”. 2011 erhielt er den renommierten, mit 2,5 Millionen Euro dotierten Europäischen Förderpreis. Weit früher als andere hat der in Braunschweig geborene Historiker die Perspektive der Mittelalterforschung von Christentum und Judentum auf den Islam geweitet. Europa sei historisch so erfolgreich, weil es sich ständig produktiv mit fremden Einflüssen auseinander gesetzt habe, hält er allen Anhängern eines Bildes vom einheitlichen christlichen Abendland entgegen. “Europas Geschichte ist besonders dynamisch geworden, weil jede erreichte Einheit durch aufbrechende Dissonanzen sogleich wieder in Frage gestellt wurde.”  Im Rahmen seiner Studien zur Kirchengeschichte betreut Borgolte seit 1997 ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum mittelalterlichen Stiftungswesen. Schon in den 80er Jahren befasste er sich mit den Grablegen der Päpste, ihrer Symbolik und ihrer Bedeutung für die kirchliche Traditionsbildung. Bei dieser Konzentration auf die christliche Geschichte blieb es allerdings nicht: Immer mehr wandte sich Borgolte der Globalgeschichte des Mittelalters zu und arbeitete dabei auch mit Byzantinisten, Indologen, Islamwissenschaftlern und Judaisten zusammen. Religiöse Pluralität sei in Europa der Normalfall, argumentiert der Historiker. “Seit dem Ausgang der Spätantike hat es im europäischen Mittelalter immer mehrere Kulturen gleichzeitig gegeben, die auf religiösen Fundamenten beruht haben.” Die Rückkehr des Islam im 20. Jahrhundert, diesmal durch friedliche Einwanderung, sei die Wiederherstellung dieses Normalfalls. Indirekt sieht der Historiker den Islam sogar als Geburtshelfer Europas, obwohl sich die Muslime nur an den Rändern des Kontinents festsetzen konnten. Durch ihre Eroberungen des vormals christlichen Nordafrikas, Persiens und des Kaiserreichs von Byzanz hätten sie die antike Einheit der Mittelmeerwelt zerstört und Europa auf sich selbst verwiesen: “Jetzt erst, seit dem 8. Jahrhundert, entdeckte Europa sich selbst.” Borgolte räumt ein, dass das Vordringen des Islam mit traumatischen Ereignissen verbunden gewesen sei. “Der Fall von Konstantinopel oder die Belagerung von Wien haben sich tief ins europäische Bewusstsein eingeprägt, ebenso die frühe Bedrohung im 8. Jahrhundert”, sagt er. Zugleich hätten die Muslime einen großen Beitrag zur Verbreitung von Gütern, Ideen und Techniken geleistet: die Palette reicht von Gewürzen und Pflanzen über Mathematik, Astronomie bis hin zur Wiederentdeckung griechischer und römischer Schriftsteller. Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Historiker auch mit der Geschichte der Völkerwanderung. “Kultur ein ständiger Änderungsprozess”, wirbt er für eine veränderte Perspektive. “Sesshaftigkeit ist weltgeschichtlich betrachtet ein Ausnahmephänomen.” “Das Römische Reich brach nicht an den Migranten zusammen, sondern umgekehrt: Es war zusammengebrochen und darum unfähig geworden, die Migranten zu integrieren”, weist er Befürchtungen zurück, das heutige Europa könne durch die Flüchtlingsströme zu Grunde gehen. “Unser politisches System ist leistungsfähig”, betont er. Darum komme es heute darauf an, Integration so zu gestalten, dass die Migranten sich nicht in Parallelgemeinschaften absetzen oder dorthin verdrängt werden.

(KNA – rknmr-89-00089)