Liebe Leserinnen und Leser,
die Bundeskanzlerin reiste am 3. Februar 2017, zum ersten Mal nach dem versuchten Putsch am 15. Juli 2016, zu einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in die Türkei. Die deutsch-türkischen Beziehungen waren damals wie heute angespannt und so fragte man sich, was die Kanzlerin dort wohl erwarten würde. Ein Detail ist für uns von Interesse: Die Kanzlerin sprach über die terroristische Bedrohung und verwendete in diesem Zusammenhang den Begriff „islamistisch“. Erdoğan nutzte die Gelegenheit, um die Kanzlerin dar- über zu belehren, dass es beleidigend sei, „Islam“ und „Terrorismus“ in einem Atemzug zu nennen, und verbot sich den Begriff „Islamismus“.
Ähnlich argumentieren auch islamische Organisationsvertreter in Deutschland und drängen darauf, den Begriff „Islamismus“ nicht zu verwenden. Dabei wurde der Begriff eigens dafür entwickelt, die Verquickung zwischen Religion und Politik zu verdeutlichen und aufzuzeigen, dass in diesem Zusammenhang womöglich eine Instrumentalisierung oder ein Missbrauch der Religion vorliegt. Für „Islamismus“ wird im Türkischen, auch von muslimischen Theologen, „İslamcılık“ verwendet. Es soll verdeutlichen, dass politisches Handeln entweder auf religiösen Grundsätzen basiert oder religiös begründet wird; also auf die Rolle der Religion im politischen Geschehen hinweisen.
Wir dokumentieren in dieser Ausgabe ein religiöses Gutachten der türkischen Religionsbehörde Diyanet über die Gülen-Bewegung. Das Dokument zeigt, wie Religion und religiöse Argumentation mit der politischen Großwetterlage der Türkei Hand in Hand agieren. Der Text führt beispielhaft vor, was der Begriff „Islamismus“ meint. Die Sprache des Textes ist auffällig aggressiv und lässt jegliche Barmherzigkeit vermissen. Der bekannte islamische Theologe Mouhanad Khorchide plädiert dafür, auch für Muslime ein Jahr der Barmherzigkeit auszurufen. Es täte allen Parteien gut, einen Moment innezuhalten und sich auf die friedliche und versöhnliche Seite ihrer religiösen Traditionen zu besinnen.
Das Zweite Vatikanische Konzil hebt hervor, dass die Kirche berufen ist, „gemäß ihrer Aufgabe, Einheit und Liebe unter den Menschen zu fördern“. Papst Franziskus weitet diesen Gedanken aus und plädiert dafür, dass „das der Stil ist, zu dem auch die Religionen aufgerufen sind, um ganz besonders in dieser unserer Zeit Boten des Friedens und Stifter von Gemeinschaft zu sein; um zu verkünden, dass heute die Zeit der Brüderlichkeit ist, im Gegensatz zu dem, der Auseinandersetzungen, Spaltungen und Abkapselung fördert“. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude bei der Lektüre dieses Heftes!
Dr. Timo Güzelmansur
Inhalt
Studien
Reflexionen über Sinn und Unsinn des Dialogs
Hureyre Kam 2
Scriptural Reasoning als performative Praxis des interreligiösen Dialogs. Innsbrucker Erfahrungen und Reflexionen
Fatima Cavis und Michaela Neulinger 7
„Trialog“ in der Schule – ohne Begegnungen? Eine Stellungnahme zum Beitrag von Georg Langenhorst: Trialogische Religionspädagogik?
Katja Boehme, Alfred Garcia Sobreira-Majer,
Thomas Krobath 14
Dokumentation
Die Religionen sind zur Barmherzigkeit aufgerufen!
Papst Franziskus, 3. Nov. 2016 18
Gutachten über die Gülen-Bewegung
Hoher Religiöser Rat der türkischen Religionsbehörde (Diyanet) 20
Resolution zur Gülen-Bewegung
Organisation der Islamischen Staaten 31
Berichte
Wege zur muslimischen Seelsorge in Deutschland und in der Türkei
Gülbahar Erdem 33
Zentralthemen christlicher und muslimischer Theologie
Joachim Valentin 37
Buchbesprechungen
Boualem Sansal: 2084. Das Ende der Welt.
Sebastian Prinz 40
Ercan Karakoyun: Die Gülen-Bewegung
Florian Volm 41
Literaturhinweise 44
Zeitschriftenschau 45
Die CIBEDO-Beiträge können Sie über diesen Link beim Aschendorff-Verlag bestellen.