CIBEDO-Beiträge 4/2017

Liebe Leserinnen und Leser,

mittlerweile scheint sich herumgesprochen zu haben, dass die Globalisierung die meisten Teile der Erde erfasst hat und eine Rückkehr zu einer Homogenisierung in Fragen der Ethnizität, Kultur und Religion ohne Gewalt nicht mehr möglich wäre.Denn auch in einem so repressiven Land wie Saudi‑Arabien leben und arbeiten mehr als 1,5 Millionen Christen aus Ländern wie Indien, Indonesien, Pakistan, Bangladesch und den Philippinen. Viele von diesen Menschen haben in ihrem Gastland mehr Lebenszeit verbracht als in ihren ursprünglichen Heimatländern. Sie leben unter schwersten Bedingungen, insbesondere was die Religionsfreiheit angeht, denn das Königreich Saudi‑Arabien gilt als eines der restriktivsten Länder der Welt.

Andersdenkende und andersglaubende Menschen müssen mit harten Konsequenzen rechnen, bis dahin, dass sie für ihre Überzeugungen sogar mit dem Leben bezahlen könnten. Saudi‑Arabien ist ein streng sunnitisches Königreich. Es hütet die sogenannten heiligen Stätten des Islam – Mekka und Medina – und verbietet die Ausübung anderer Religionen auf seinem Territorium; selbst das Zeigen von Kreuzen oder der Besitz einer Bibel steht unter Strafe. Mitte November wurde eine beispiellose Visite bekannt: Der maronitische Patriarch des Libanon, Kardinal Bechara Boutros Rai, besuchte Saudi‑Arabien – und zwar auf eine offizielle Einladung der Führung in Riad hin. Der Kardinal und einige Geistliche, die ihn begleiteten, trugen sichtbar ihre Brustkreuze.

Wenige Tage später traf ein hochrangiger Vertreter des Königshauses von Saudi‑Arabien Papst Franziskus im Vatikan. Wir dürfen gespannt sein, ob der historische Besuch des Kardinals, der sowohl in interreligiöser als auch in politischer Hinsicht historisch ist, und die Begegnung in Rom zwei von weiteren Schritten des Landes in Richtung Öffnung, Akzeptanz, Pluralität und Demokratie sein werden oder ob sich diese Geschehnisse als ambivalente Signale vernebeln werden.

Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, das niemandem verwehrt werden darf. Für Religionsgemeinschaften und ihre Anhänger ist dieses Recht immens wichtig, damit sie sich frei entfalten können. Es garantiert auch, dass unterschiedliche religiöse Traditionen miteinander in „Harmonie“ leben können. Diesen Gedanken griff Papst Franziskus bei der Begegnung mit Religionsvertretern in Myanmar auf und erklärte, dass Harmonie und Frieden sich gegenseitig bedingen. Das bedeutet nicht, dass wir uns in eine Tendenz der Gleichmacherei begeben sollen. „Wir müssen vielmehr den Reichtum unserer Unterschiede verstehen (der ethnischen, religiösen Unterschiede) und von diesen Unterschieden ausgehend in einen Dialog eintreten. Von diesen Unterschieden aus lernt einer vom anderen, als Geschwister.“ Das ist ein wunderbarer Gedanke, der verdeutlicht, dass das ernsthafte Bemühen im Dialog keine triviale Sache ist, sondern neben der horizontalen auch eine vertikale Dimension besitzt. Wie schon Papst Johannes Paul II. im Jahre 1986 sagte: „Durch den Dialog lassen wir Gott in unserer Mitte gegenwärtig sein; denn wenn wir uns einander im Dialog öffnen, so öffnen wir uns auch Gott.“

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ein besinnliches Weihnachtsfest, einen guten Start in das neue Jahr und viel Freude bei der Lektüre dieses Heftes!

Dr. Timo Güzelmansur

 

Inhalt

Studien

Anerkennung religiöser Identität?! Überlegungen im Kontext des christlich‑islamischen Dialoges
Benedikt Schmidt 160

Kein Ort für Religion – kein Ort für Muslime? Eine Auseinandersetzung mit Talal Asad zu Muslimen bzw. zum Islam in Europa
Michaela Neulinger 164

Fanatismus als verlorene Frömmigkeit – ein Podiumsbeitrag
Christoph Bultmann 172

Dokumentation

Diskriminierung widerspricht dem Geist Christi
Die DBK übermittelt Aleviten Segenswünsche zum Muharrem-Fasten und zum Aşure-Fest 2017 178

„Die Migranten und Flüchtlinge aufnehmen, beschützen, fördern und integrieren“
Botschaft von Papst Franziskus zum 104. Welttag des Migranten und Flüchtlings 2018 179

„Es ist die Seele, die fehlt“
Friedensappell des internationalen Weltfriedenstreffens 2017, 12. September 2017 182

Gutachten über die Gülen‑Bewegung
Hoher Rat für Religionsangelegenheiten der Diyanet 183

Berichte

Studierende im christlich‑islamischen Dialog
Siegfried Kleymann, Regina Pilz, Verena Schrader und Christina Ströhm 189

Salafismus in Deutschland
Christina Reich und Hussein Hamdan 192

Bericht von der Verleihung des Pax‑Bank‑Preises 2017
Sebastian Prinz 194

„Ehrlich über Muhammad reden“
Matthias Böhm 196

Noch ein weiter Weg
Dirk Ansorge 199

Buchbesprechungen

Richard Heinzmann und Mualla Selçuk (Hg.): Autorität und Individuum/Glaube und Vernunft in Christentum und Islam
Rüdiger Braun 202

Gerda Hasselfeldt und Ursula Männle (Hg.): Islam und Staat
Sebastian Prinz 204

 

Literaturhinweise 206
Zeitschriftenschau 207
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