Liebe Leserinnen und Leser,
während sich Deutschland einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung erfreuen darf, die sich wohltuend auf die geplagten Staatsfinanzen auswirkt, kommen auf dem gesellschaftspolitischen Gebiet Problemfelder auf, die zunehmend die Themen der Tagespolitik bestimmen:Stuttgart 21 und die Frage muslimischer Zuwanderung. Auf den ersten Blick haben diese beiden Themen vielleicht wenig miteinander gemeinsam. Aber in beiden Fällen zeigt sich eine tiefsitzende Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung mit der politischen Klasse in Deutschland.
Die Proteste der Bevölkerung rütteln an den Festen der repräsentativen parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Die Finanzkrise war der Auslöser für die wachsende Entfremdung zwischen Volk und Regierung. In der Krise hatte die Regierung sehr wirkungsvoll gehandelt, aber später nichts dagegen unternommen, dass die Verursacher der Krise ungeschoren davonkamen und nicht zur Verantwortung gezogen wurden. Ja, schlimmer noch: Längst ist der Eindruck entstanden, es gehe inzwischen so weiter wie vor der Krise und die Politik schreitet nicht ein.
In der Frage der muslimischen Zuwanderung sieht es ähnlich aus. Viele Menschen fühlen sich bedroht von einer um sich greifenden Überfremdung durch den Islam und verlangen ein energisches Eingreifen der Politik. Als Thilo Sarrazins Buch erschien, entlud sich der ganze Migrationsfrust in einer vorbehaltlosen Zustimmung eines Großteils der Bevölkerung zu seinen Thesen. Die Politik hingegen verurteilte seine Thesen und sorgte für seine Entlassung aus der Bundesbank. Als Bundespräsident Wulff in seiner Rede zum 3. Oktober 2010 sagte: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland … Aber der
Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“, entstand der Eindruck, dass er den Islam gleichrangig neben Christentum und Judentum positionieren wollte.
Natürlich hat der Islam seinen Platz in Deutschland, zahlenmäßig. Fünf Prozent der Bevölkerung sind muslimisch. Nicht nur aufgrund dieser Tatsache, sondern vor allem aus den Werten des Grundgesetzes und der Menschenrechte ist die Bundesrepublik verpflichtet, den Muslimen Religionsfreiheit zuzusichern. Das beinhaltet den Bau von würdigen Moscheen und die Erteilung von Religionsunterricht in den Schulen. In diesem Sinn ist der Islam ein Teil Deutschlands. Aber kultur- und identitätsprägend wie das Christentum ist der Islam nicht. Die Werte des Grundgesetzes gehen auf eine christlich-abendländische Entwicklung zurück und sind nicht vom Islam geprägt. Wäre dies der Fall, so müssten islamische Werte für alle Deutschen verbindlich gelten. Hiergegen aber hat sich die Mehrheit der Deutschen klar positioniert.
In der Debatte um Zuwanderung und den Islam haben ein Großteil der Bevölkerung und die politische Klasse gegensätzliche Positionen eingenommen, die zum größten Teil unvereinbar sind. In den Kirchen sieht die Lage nicht viel anders aus. Auch hier droht die Gefahr einer sich ausweitenden Kluft zwischen den Bischöfen und dem Kirchenvolk. Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich im Dialog mit dem Islam hervorragend positioniert. Aber wir müssen verstärkt dafür arbeiten, dass diese Positionenauch von den Gemeinden getragen werden. Hierfür Konzepte zu entwickeln
gehört zu den Zukunftsaufgaben der Kirche sowohl in Deutschland als auch in Europa.
Herzlichst
Ihr Peter Hünseler
Inhaltsverzeichnis
Editorial
Studien
Mission und Dialog im Kontext der christlich-muslimischen Begegnung und aus katholischer Perspektive
von Christian W. Troll SJ 108
Außenblick
Christliche Mission in türkisch-muslimischer und systematisch-theologischer Darstellung
von Felix Körner SJ 119
Können Christen den Koran als Wort Gottes anerkennen?
von David B. Burrell CSC 128
Dokumentation
Christen und Muslime gemeinsam für die Überwindung von Gewalt zwischen Gläubigen verschiedener Religionen
vom Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog, Jean-Luis Kardinal Tauran 135
Ramadan Mubarak!
Grußbotschaft des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz zum Fastenbrechen 2010
von Erzbischof Robert Zollitsch 136
Gemeinsam gegen Armut und soziale Ungleichheit. Grußwort des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum islamischen Fastenmonat Ramadan 2010
von Nikolaus Schneider 137
Muslim darf das rituelle islamische Gebet in der Schule nicht verrichten
Gerichtsurteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. Mai 2010 OVG 3 B 29.09 / VG 3 A 984.07 Berlin 138
Bericht
Wissenschaftlicher und persönlicher Dialog auf der Grundlage von Anerkennung und Respekt
Tagungsbericht der Studienwoche „Christlich-Islamische Beziehungen im europäischen Kontext“
von Angelika Beer/Amir Dziri/Idris Riahi 144
Buchbesprechungen
Der Koran. Aus dem Arabischen neu übertragen von Hartmut Bobzin
Der Koran. Vollständig und neu übersetzt von Ahmad Milad Karimi
von Christian W. Troll SJ 146
Tamcke, Martin: Christen in der islamischen Welt
von Thomas Nordmann 148
Literaturhinweise 150
Neuanschaffungen der CIBEDO-Bibliothek 1523
Zeitschriftenschau 153