Liebe Leserinnen und Leser,
an den Grenzen Europas spielen sich dramatische Szenen mit Menschen ab, die für sich und ihre Kinder einen sicheren Ort suchen und die ohne
Existenzangst in Frieden leben möchten. Derweil gehen das Morden, Plündern und die Vertreibung in den ursprünglichen Heimatländern, besonders in
Irak und Syrien, weiter. Als ob die Terroristen des sogenannten „Islamischen Staates“ nicht genug Unheil anrichten würden, verschärft sich auch in der Türkei die Lage zwischen der kurdischen Bevölkerung und dem türkischen Staat im Osten des Landes. Und auch im Jemen werden die blutigen
Auseinandersetzungen heftiger. Ein Brandherd nach dem anderen zwingt die Menschen, ihre Heimat zu verlassen und unter Gefährdung von Leib und Leben zu fliehen. Das Bild vom leblosen Körper des kleinen Jungen Aylan Kurdi am Strand von Bodrum in der Türkei, der mit seiner Familie auf der Flucht vor dem Krieg war und der mit seiner Mutter und seinem Bruder im Mittelmeer ertrank, gab der ganzen Dramatik ein „Gesicht“. Dieses Bild zeigte der Welt, wie verzweifelt die Menschen sind und welche Tragödien sich abspielen, vielleicht ohne dass jemals jemand davon eine Notiz nehmen wird.
Menschen, die es trotz der vielen Gefahren über See- oder Landwege nach Europa und insbesondere nach Deutschland geschafft haben, sind erleichtert, aber noch nicht unbedingt sicher. Denn hier wartet an manchen Orten ein weiterer Feind auf sie: der menschenverachtende Rechtsradikalismus, der nicht davor zurückschreckt, Asylunterkünfte mitsamt Insassen in Brand zu stecken. Angeblich zum Schutz des „christlichen Abendlandes“.
Dabei stellt sich einem die Frage, ob diese Menschen je verstanden haben, was „christlich“ überhaupt bedeutet. Nein! Das ist nicht die „christlich-abendländische Kultur“ und es kann keine christlich-religiöse Legitimation für so ein Verhalten geben. Nein! Das ist nicht Deutschland! Die Mehrheit der Menschen in Deutschland zeigt sich großzügig und hilfsbereit gegenüber den Kriegsflüchtlingen. Es werden Essen, Getränke und Kleider für die Neuankömmlinge gesammelt und verteilt. Viele stehen als ehrenamtliche Helfer da bereit, wo es nötig ist, mit anzupacken. Dies ist eine großartige Antwort, die an die Adresse der Rechtsextremen, der sogenannten „Verteidiger des Abendlandes“, geht.
Bei alledem ist unbestritten, dass die Aufnahme von Neuankömmlingen eine Herausforderung für die Gesellschaft darstellt und einige Bürger ein erneutes Versäumen von Integration, wie damals zu Zeiten der Gastarbeiteranwerbung in den 1906er Jahren, befürchten. Hier ist es die Aufgabe der Verantwortlichen, frühzeitig Maßnahmen für eine erfolgreiche Integration zu
überlegen und die nötigen Schritte in die Wege zu leiten und damit ein angstfreies, friedliches und gedeihliches Miteinander zu ermöglichen.
Die christliche Nächstenliebe macht keinen Unterschied aufgrund der Religion oder Herkunft zwischen den Menschen und gebietet, jedem zu helfen, der in Not geraten ist.
DieserAufforderung Jesu folgend und aus der Mitte des Evangeliums begründend richtete Papst Franziskus den Aufruf an alle Pfarreien und kirchlichen Gemeinschaften, mindestens eine Familie bei sich aufzunehmen. Die Hilfsbereitschaft soll nicht nur mitWorten, sondern auch durch Taten erfolgen. Der Papst appelliert gleichzeitig an das Gewissen aller zu helfen!
Kardinal Marx bringt im Gespräch mit dem Münchener Merkur vom 14. September 2015 auf den Punkt, was unbedingt zum Christentum und zur europäischen Identität gehört: „Die Identität Europas besteht auch darin, wie man mit Notleidenden umgeht. Viele sagen, die christliche Identität Europas darf nicht gefährdet werden. Aber das gehört ja zum Wesentlichen der christlichen Identität, dass wir unabhängig von seinem Glauben und seiner Herkunft einem Menschen, der in Not ist, helfen. Und ihm mit Respekt begegnen. Wenn wir diesem Leitbild nicht entsprechen, gefährden wir die
Identität Europas. Wer europäischen Boden betritt, sich Europa nähert, darf nicht Angst haben um sein Leben, nicht Angst haben, zu ertrinken oder zu ersticken.“ In so einem Europa können Menschen Heimat finden und sich gegenseitig mit „Hochachtung“ begegnen, wie beispielhaft die Konzilserklärung „Nostra Aetate“ vor 50 Jahren im Hinblick auf die christlich-muslimischen Beziehungen formulierte. Diese Haltung ist heute nötiger denn je. Dafür müssen wir alle unseren Beitrag leisten!
Timo Güzelmansur
Inhaltsverzeichnis
Studien
50 Jahre PISAI – Kurzer Abriss der Historie des Päpstlichen Instituts für Arabische und Islamische Studien
von Franceso Zannini, Rom 96
Was ist aus Nostra Aetate geworden?
Relecture des römisch-katholischen Islamdialogs, 2005 – 2015
von Felix Körner SJ, Rom 101
Das Wirken der Azhar-Universität im christlich-islamischen Dialog
von Hussein Hamdan, Tübingen 109
Dokumentation
Ramadanbotschaften:
Päpstlicher rat für den Interreligiösen Dialog 114
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz 116
Ratspräsident der EKD 118
Bundespräsident 119
“Die Barmherzigkeit Gottes wird durch unsere Werke erkennbar” Auszug aus dem Appell von Papst Franziskus zur Aufnahme von Flüchtlingen nach dem Angelusgebet auf dem Petersplatz 120
Berichte
Religion und Vernunft in Theorie und Praxis
Bericht zur Tagung des Dominikanischen Instituts DICIG und der Stiftung für Islamische Studien, 1.-3. Mai in Köln
von Raphael Zikesch 121
Junge Muslime im Web 2.0
Bericht zur Fachtagung an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, 8.-9. Mai 2015
von Christina Weick 123
Menschenbilder – Wertebilder
Bericht zur Tagung Menschenbilder – Wertebilder, 8.-9. Juni 2015 in Köln
von Fatma Aydinli 125
Buchbesprechungen
Hamdan, Hussein/ Schmid, Hansjörg: Junge Muslime als Partner, Ein empiriebasierter Kompass für die praktische Arbeit
von Tarek Badawia 127
Herpich, Roland/ Schnabel, Patrick/ Goetze, Andreas (Hrsg.): Religion. Macht. Politik. Wieviel Religion verträgt der Staat?
von Sebastian Prinz 128
Nagel, Tilman: Angst vor Allah?, Auseinadersetzungen mit dem Islam
von Christian W. Troll SJ 129
Literaturhinweise 131
Neuanschaffungen der CIBEDO-Bibliothek 133
Zeitschriftenschau 134