Rom (KNA) Der türkische Botschafter beim Heiligen Stuhl hat dem Eindruck einer wachsenden Islamisierung seines Landes widersprochen. Dies sei eine “sehr subjektive und etwas oberflächliche Sicht”, sagte Botschafter Mehmet Pacaci der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in einem am Sonntag verbreiteten Interview. Dass der Islam stärker öffentlich präsent sei, führte er auf demografi-sche Verhältnisse zurück. “95 bis 98 Prozent der Bevölkerung sind muslimisch, es gibt eine Nachfra-ge nach Religion”, sagte Pacaci.
Auch Präsident Recep Tayyip Erdogan betreibe keine Islamisierung. Pacaci verwies auf Erdogans öffentliche Mahnung bei einem Kairo-Besuch im September 2011, dem Säkularismus treuzubleiben. “Dafür steckte er Kritik ein. Wie kann so jemand den säkularen Charakter der Türkei ändern wol-len?”, fragte der Botschafter.
Die wachsende Sichtbarkeit des Islam in der Türkei erklärte Pacaci, ehemaliger Spitzenbeamter des Religionsamtes Diyanet, als eine Gegenbewegung zu einem starken Säkularisierungsdruck seit den 50er Jahren. Antrieb dafür sei der Wunsch vieler Menschen, die “frei beten, sich religiös kleiden dür-fen” wollten. Unter der AKP-Regierung seien “die Freiheiten für religiöse, aber auch ethnische Min-derheiten wie Kurden gewachsen”, sagte Pacaci.
Dass in der Putschnacht vom 15. Juli die Imame das Volk zu Kundgebungen mobilisierten, begrün-dete Pacaci mit einer “Tradition seit ottomanischer Zeit. Bei Militäreinfällen oder in Notlagen wurden die Gläubigen zusammengerufen. Das passierte auch in dieser Nacht”, sagte er. Schon zuvor seien die Menschen allerdings dem Demonstrationsaufruf Erdogans gefolgt.
Pacaci sagte weiter, das Religionsamt ernenne und bezahle die Imame der landesweit rund 85.000 Moscheen; neue Moscheen selbst indessen würden auf Privatinitiative und aus privaten Mitteln er-richtet. Die Freiheitsrechte nichtislamischer Religionsgemeinschaften seien jedenfalls gesichert. Dies spiegele sich auch in deren Medien. “Es gibt keine Einschränkung der Meinungsfreiheit”, sagte der Botschafter.
Zur Lage der katholischen Kirche, die in der Türkei keinen Rechtsstatus besitzt, sagte Pacaci, die Regierung habe Lösungen wie die Gründung von Stiftungen vorgeschlagen, die aber dem Heiligen Stuhl nicht geeignet schienen; umgekehrt seien “die Vorschläge des Heiligen Stuhls nicht mit unserer Verfassung in Einklang zu bringen”. Pacaci sagte weiter: “Auch in Deutschland würde der Staat nicht die Verfassung wegen einer muslimischen Gemeinschaft verändern.” Allerdings gehe es “nur um eine technische Frage, nicht um eine Nicht-Anerkennung der katholischen Gemeinde”.
(KNA – qkskr-89-00018)