Von Paula Konersmann (KNA) Berlin (KNA) Lamya Kaddor ist eine der bekanntesten Islamwissenschaftlerinnen Deutschlands. Sie ist Lehrerin, Gründungsmitglied des Liberal-Islamischen Bundes und Leiterin eines Projektes gegen Antisemitismus. In ihrem neuesten Buch geht es jedoch nur stellenweise um den Islam. Warum, das erklärt sie gleich zu Beginn: “Sowohl der Islam als auch andere Religionen sind nur eine Facette dessen, was unsere Gesellschaft derzeit vor eine Zerreißprobe stellt.” Insofern fordert Kaddor, weniger über Religion zu sprechen und mehr über das, was sie als Kernproblem ausmacht: den Rassismus. Ihr Buch “Die Zerreißprobe. Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht” erscheint am heutigen Mittwoch. Auf gut 200 Seiten beschreibt sie die Lage, in der sie die deutsche Gesellschaft sieht. Zwei Wendepunkte macht sie im öffentlichen Umgang mit Muslimen aus: den 11. September 2001 und die Kölner Silvesternacht. Bei feindseliger Stimmung gegenüber dieser Minderheit gehe es inzwischen allerdings kaum noch um Religion. “Erst die permanente Thematisierung des Islam als Problem führte im Laufe der Zeit dazu, dass Menschen tatsächlich glaubten, von dieser Religion gehe Gefahr aus. Dabei geht die Gefahr immer nur von bestimmten Menschen aus.” Manche Kritikpunkte Kaddors sind sehr aktuell: AfD-Vordenker und Pegida-Anhänger zielten darauf ab, das Recht auf Religionsfreiheit einzustampfen, warnt die Expertin. Ähnliche Befürchtungen haben während der jüngsten Burka-Debatte auch Kirchenvertreter geäußert – und das nicht nur im Hinblick auf den Islam. Bei anderen Argumentationen wird nicht jeder Leser der Autorin folgen – was wohl auch nicht das Ziel eines als Streitschrift deklarierten Textes ist. So schreibt Kaddor, gemeinsame Feste wie Weihnachten könnten einen neuen gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Es sei zwar ein christliches Fest, doch das wisse ohnehin kaum noch jemand, also könnten die Christen anderen “überlassen, was auch immer sie im Weihnachtsfest sehen wollen.” Dass sie sich auch über solche diskussionswürdigen Stellen hinaus nicht nur Freunde machen wird, ist Kaddor bewusst. Das Buch werde ihr “weiteren Hass einbringen”, vermutet sie; vereinzelt erwähnt sie die Drohungen, die sie täglich per Post oder in den Sozialen Medien erhält. Trotz sachlichschnörkelloser Schilderung wird deutlich, dass diese Reaktionen die gebürtige Ahlenerin mit syrischen Wurzeln mal wütend, mal traurig machen. Diese Stimmung überträgt sich auf den Leser. An manchen Stellen möchte man darüber verzweifeln, was im Jahr 2016 offenbar noch nicht selbstverständlich ist: etwa, wenn Kaddor betont, es sei doch inzwischen normal, “dass ‘Ausländer’ Akademiker sind und in führende Posten kommen”. Mit Blick auf die Flüchtlinge heißt es: “Die Verzweiflung wird immer stärker sein als die Mauer, die wir ziehen, als die Festung, die wir bauen.” Kritiker mögen einwenden, ein solches Buch erreiche nur diejenigen, die sich ohnehin längst einig seien. Radikale zu überzeugen, ist indes nicht Kaddors Ziel. “Das habe ich oft genug probiert”, sagte sie kürzlich dem Magazin “Brigitte”. “Man sollte solche Menschen besser ausgrenzen, um damit ein entsprechendes Signal zu setzen.” Bürgern, die sich um die Zukunft sorgten, wolle sie mit ihrem Buch dagegen Ängste nehmen, betont die Autorin, deren voriges Werk “Zum Töten bereit” ein Bestseller wurde. Zugleich möchte sie jene bestärken, die Rassismus ablehnen, sich aber nicht trauen, ihm offen zu begegnen. Bei Hasskommentaren im Netz könne das ganz leicht sein, meint Kaddor: zum Beispiel, indem man schlicht widerspreche: “sehe ich nicht so”, oder einen kritischen Kommentar mit einem “gefällt mir” belohne. “Die meisten Situationen sind völlig harmlos, aber trotzdem sind wir manchmal zu bequem, zu konfliktscheu, um zu handeln.” Angesichts der Lage brauche es jedoch Aufmerksamkeit. Und “etwas, das selbstverständlich sein sollte: Rückgrat”. (KNA – qktlp-89-00093)