Von Christoph Arens (KNA)
Bonn (KNA) Was zählt mehr: eine religiöse Trauung vor einem Priester oder Imam – oder der staatlich und rechtlich verbindliche Akt vor dem Standesbeamten? Was lange ein teilweise heftig ausgefochtener Streit zwischen deutschem Staat und den christlichen Kirchen war, rückt nun in anderer Form wieder auf die Tagesordnung: als Konflikt um vor dem Imam geschlossene muslimische Ehen, insbesondere um Kinderehen.
Am Mittwoch teilte das Bundesinnenministerium mit, dass es zumindest bei Minderjährigen religiöse Trauungen ohne vorherige zivilrechtliche Eheschließung nicht mehr zulassen will. Ein Zuwiderhan-deln solle als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, sagte ein Ministeriumssprecher. Dies solle reli-gionsneutral und damit für alle Religionen gelten.
Der Pfarrer mag “schreien, toben und des Teufels sein. Wenn die Worte einmal ausgesprochen sind, seid ihr Mann und Frau”. So hatte es das Trienter Konzil der katholischen Kirche im 16. Jahrhundert festgelegt. Und so blieb es Jahrhunderte: Bekundeten Brautleute vor ihrem Ortspfarrer in Anwesen-heit von zwei Zeugen ihren Willen zur Ehe, war der Bund für das Leben geschlossen.
Doch damit war in der Bismarckzeit Schluss: Am 1. Oktober 1874 wurde in Preußen, am 6. Februar 1875 im gesamten Deutschen Reich die Zwangszivilehe eingeführt. Erst Standesamt, dann Kirche: Unter heftigem kirchlichen Protest übernahm der Staat die Regie beim “Bund für das Leben”. Im so-genannten Kulturkampf wollte Bismarck die Macht insbesondere der katholischen Kirche brechen.
Kirchlich heiraten durfte fortan nur, wer zuvor vor dem Standesbeamten Ja gesagt hatte. Geistliche, die das nicht beachteten, mussten mit deftigen Strafen rechnen. Während der Nazi-Zeit waren sie mit fünf Jahren Haft bedroht. Bis 1957 war eine religiöse Trauung ohne vorherige Zivilehe ein Straftatbe-stand; eine Reform des Personenstandsgesetzes unter der Regierung Konrad Adenauers stufte die Straftat des Priesters zur Ordnungswidrigkeit herab.
133 Jahre behielt dieses Gesetz seine Gültigkeit: 2007 allerdings beschloss der Bundestag – von der Öffentlichkeit weithin unbemerkt – eine Änderung des Personenstandsrechts. Seit 2009 können Paa-re wieder kirchlich heiraten, ohne vor dem Staat ihr Ja-Wort zu geben – was allerdings bei christli-chen Paaren kaum eine Rolle spielt.
Selbst die katholische Kirche war über diese Neuregelung nicht besonders glücklich: Zwar sei die Freigabe der kirchlichen Trauung eine alte Forderung der Kirche, erklärte der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann. Doch wolle die Kirche an der engen Bin-dung zwischen kirchlicher und staatlicher Ehe unbedingt festhalten. Beide christliche Kirchen rieten – genauso wie der Zentralrat der Muslime – allen Gläubigen, weiterhin unbedingt auch staatlich zu hei-raten, um unter den besonderen Schutz der Ehe durch das Grundgesetz zu kommen.
Ganz praktische Gründe sprechen dafür: Eine rein religiös geschlossene Ehe erkennt der Staat im Zivilrecht nicht an. Solche Paare werden vor dem Gesetz als nichteheliche Lebensgemeinschaften beurteilt – mit allen Konsequenzen, etwa für Unterhalts-, Erb- und Steuerrecht. So haben sie bei-spielsweise vor Gericht kein Zeugnisverweigerungsrecht und erhalten unter Umständen keine Aus-kunft über ihren erkrankten Partner im Krankenhaus. Einen Vorteil allerdings gibt es auch: Eine Wit-we etwa kann eine neue kirchliche Ehe eingehen, ohne auf die Rente ihres verstorbenen Mannes verzichten zu müssen.
Mittwoch, 2. November 2016 Seite 66
Dass die Politik die Uhr jetzt wieder in Richtung Bismarck zurückdrehen will, hat mit der Sorge vor einer islamischen Parallelgesellschaft zu tun. Kritiker warnen vor unkontrollierbaren Ehen in Hinter-hofmoscheen und einem parallel geltenden islamischen Recht. So begründete die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ihre Forderung, die Zivilehe solle wieder Vorrang vor einer religiös geschlossenen Ehe haben, am Mittwoch mit den Worten: “Dies ist ein kla-res Signal gegen die Abkehr vom Staat und gegen ausschließlich religiös motivierte Trauungen, wie wir sie zum Beispiel bei den sogenannten Imam-Ehen erleben.”
(KNA – qllkm-89-00164)