Von Paula Konersmann (KNA) Köln (KNA) Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis der neue US-Präsident zum ersten Mal erwähnt wurde. Genauer gesagt, sein Wahlkampfslogan: “make America great again”. Das Wort “again”, “wieder”, sei in diesem Satz entscheidend, erklärte der Bielefelder Wissenschaftler Heinrich Schäfer. Erst als die Pilgerväter sich Ende des 18. Jahrhunderts von England abgegrenzt hätten, habe sich die Großartigkeit Amerikas in den Augen von Donald Trump und seinen Anhängern erst wirklich entfaltet – also strebten sie nun einen vergleichbaren Zustand an. Schäfer bezeichnete dieses Ideal als “revolutionären Traditionalismus”. Es war eine der vielen Ausprägungen von Fundamentalismus, die am Montag im Kölner Maternushaus zur Sprache kamen. “Höhere Gewalt – Fundamentalismus und Demokratie” lautete der Name der Tagung, zu der die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) geladen hatte. Fundamentalismus, betonte bpb-Referentin Hanne Wurzel, gebe es in allen Weltreligionen – und ebenso in politischen oder wirtschaftlichen Zusammenhängen. Seit dem 11. September 2001 werde der Begriff jedoch vor allem im Zusammenhang mit dem Islamismus verwendet. Religionssoziologe Schäfer verwies darauf, dass der Fundamentalismus in muslimisch geprägten Ländern genau umgekehrt entstanden sei wie jener in den USA. Im Irak oder in Afghanistan komme die Moderne eben nicht als Akt der Selbstbestimmung daher, sondern als “erdrückende Erfahrung von säkularistischer Unterdrückung”. Wer sich dort radikalisiere, wolle die Ehre des Islam wiederherstellen; Terroranschläge seien in dieser Logik eine defensive Reaktion auf westliche Aggressionen. Genau so argumentieren Terrormilizen wie der “Islamische Staat” (IS), wenn sie neue Mitglieder anlocken wollten. Davon berichtete Dominic Musa Schmitz, der sich 2005 dem Salafismus angeschlossen hatte, inzwischen jedoch ausgestiegen ist und ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben hat. In der salafistischen Szene würden beispielsweise Verschwörungstheorien verbreitet, nach denen Anschläge westlichen Geheimdiensten in die Schuhe geschoben würden, die den Islam schlecht dastehen lassen wollten. Schäfer nannte ebendies als entscheidendes Merkmal für Fundamentalismus: das Einbringen in politische Debatten. Oftmals gehe es Fundamentalisten nicht um Schriften wie die Bibel oder den Koran, sondern um politische Forderungen. Genau gegenteilige Erfahrungen hat Robert Pleyer gemacht, der vor fünf Jahren die umstrittene urchristliche Sekte “Zwölf Stämme” verlassen hat. Die Kölner Tagung endete mit einer Lesung aus seinem Buch “Der Satan schläft nie”. Den Anhängern der Sekte gehe es, so schreibt Pleyer, nicht “um eine gegenwartsbezogene Auseinandersetzung mit dem Buch der Bücher, sondern um eine widerspruchslose Verkündung und Umsetzung der Gebote Gottes”. Schäfer warb angesichts dessen für eine offene Debatte – und mehr Selbstkritik. Die Gegenperspektive einzunehmen, sich beispielsweise zu fragen, wie die Handlungen westlicher Staaten in den betroffenen Ländern ankämen, sei “die einzige Bedingung, unter der wir friedliche Verhältnisse erzielen können”. Der Islamwissenschaftler Tilman Seidensticker sieht in den hiesigen Gesellschaften zugleich ein “Vakuum an Orientierung, das zu füllen niemand den Mut hat oder in der Lage ist”. Das liege auch im Rückzug von Religionen begründet; viele Menschen orientierten sich an vermeintlichen Idealen des Konsums oder an den Sozialen Medien. “Schlichte, vorgestanzte Regeln können entlasten und ungeheure Kräfte freisetzen, wenn jemand auf der Suche ist”, warnte der Forscher der Universität Jena. Die Suche nach Lösungen sei anspruchsvoll, fügte Seidensticker hinzu. Beispielsweise sei es für Außenstehende schwer zu sagen, was der “wahre” Islam sei – im Koran fänden sich sowohl Stellen, die Gewalt legitimierten, als auch pazifistische Passagen. Klar sei jedoch eines, so der Experte: “Verallgemeinerungen können wir uns nicht leisten.” (KNA – rklmn-89-00160)