Von Karin Wollschläger (KNA) Berlin (KNA) Immer wieder schafft es die AfD mit rechtspopulistischen Eskapaden in die Schlagzeilen. So groß die Aufregung darüber, so hilf- und erfolglos scheinen bislang alle Versuche, den Zulauf zu der Partei zu stoppen. Der Politikredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Justus Bender, gilt als profunder Kenner der Materie. Jetzt hat er dazu ein Buch vorgelegt: “Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland.” Seine tiefgehende Analyse ist derzeit der beste Weg, um das “Phä- nomen AfD” zu verstehen und konstruktiv damit umzugehen. Bender gibt detailreiche Einblicke in die innere Verfasstheit und Entwicklung der Partei mit ihren unterschiedlichen Strömungen, zu denen evangelikale Lebensschützer ebenso zählen wie Rechtsradikale. Ihre Anhänger sind nicht nur frustrierte Hartz-IV-Empfänger. Diese Heterogenität erfordert ein gerüttelt Maß an Differenziertheit. So macht Bender immer wieder deutlich, wo in den diversen Äußerungen von AfD-Politikern die feinen Unterschiede zwischen Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus und neonazistischem Gedankengut verlaufen. Zudem zeigt er auf, weshalb er sich einen Schulterschluss zwischen AfD und NPD nicht vorstellen kann. Doch was eint die so unterschiedlichen Anhänger der Partei? Bender findet – inspiriert von einem Artikel über US-Präsident Donald Trump im “New York Magazine” – die Lösung: bei Platon. Genauer in dessen staatstheoretisch wichtigstem Werk “Der Staat”, entstanden im vierten Jahrhundert vor Christus. Dort gibt es einen Passus über die “Auflösung der Demokratie durch ihre Unersättlichkeit nach Freiheit”. Bender bemerkt, dass die Schilderung “schmerzhaft genau dem Zustand der Demokratie in der Bundesrepublik und der gesamten westlichen Hemisphäre entspricht”. Demnach kann in einer Demokratie der immer größer werdende Freiheitsdrang der Bürger kippen und sich schließlich gegen jede Form von Obrigkeit wenden. Politische Entscheidungen oder mediale Berichterstattung werden plötzlich als “unerträgliche Bevormundung” wahrgenommen. In diesem Sine will die AfD die “Massen von der Bevormundung durch die Eliten befreien”, weil diese etwa eine Toleranz gegenüber Minderheiten einfordern und die AfD-Anhänger dadurch Einschränkungen ihrer eigenen Freiheiten befürchten. Die AfD kämpft für die “Freiheit”, dass ein Bauchgefühl den gleichen Stellenwert haben soll wie rationale Fakten. Deshalb laufen Versuche weitgehend ins Leere, etwa ostdeutschen AfDSympathisanten die Befürchtungen vor einer “Islamisierung” ihrer Heimat zu nehmen, indem man darlegt, wie verschwindend gering der Anteil der Muslime im Osten ist. Sie würden dies wohl immer als “Diktatur” rationaler Argumente empfinden, die man ihnen aufzwingen wolle. So stellt laut Bender der Philosoph und AfD-Vordenker Marc Jongen “offenbar die Prämisse einer rationalistischen Analyse infrage, indem er Bauchgefühle als legitime Grundlage für politische Urteile verteidigt”. Ein weiterer Punkt ist Bender zufolge essenziell, um das Agieren und die Argumentation der AfD nachzuvollziehen und entsprechend reagieren zu können: Ein Teil der AfD-Anhänger ist getrieben von der Motivation und der Lust, Politiker oder andere Vertreter der “Eliten” zu bestrafen, auch wenn sie selbst dadurch möglicherweise Nachteile haben. Als beim Katholikentag im vergangenen Jahr keine AfD-Vertreter auf Podien eingeladen wurden, kritisierte die Partei das als ungerecht. Auch unter AfD-Gegnern entspann sich eine Debatte darüber, ob die Entscheidung klug war – und schon hatte die AfD-Führung, was sie wollte: durch die Debatte diejenigen “bestraft”, die nicht mit ihr diskutieren wollten. Eines macht Bender klar: Eine schnelle Lösung bei der Bekämpfung der AfD gibt es nicht. Die aussichtsreichste Strategie erscheint ihm, mit Wissbegier auf Vorschläge der Partei zu reagieren und konsequent nach dem Wie der praktischen Umsetzung zu fragen. Damit lasse sich in vielen Fällen die AfD-Rhetorik aushebeln. Wenn ein AfD-Funktionär Verfassungsfeindliches oder Unmenschliches fordere, sei jede Empörung berechtigt, so Bender. Im diskursiven Umgang mit AfD-Forderungen sei jedoch mit einem Verzicht auf Empörung häufig mehr gewonnen.
(KNA – rkmmr-89-00155)