Von Joachim Heinz (KNA)
Am Sonntag hat eine knappe Mehrheit der Wähler in der Türkei für eine Änderung der Verfassung votiert. Sie räumt Präsident Recep Tayyip Erdogan deutlich mehr Macht als bisher ein.
Was bedeutet der umstrittene Schritt für das gesellschaftliche Klima in der Türkei? Im Interview nimmt Timo Güzelmansur eine Einordnung vor. Der katholische Theologe stammt aus Antakya im Süden der Türkei und ist Leiter der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle (CIBEDO) in Frankfurt.
Frage: Herr Güzelmansur, was bedeutet Ihrer Einschätzung nach das Referendum allgemein für die Lage der Menschenrechte in der Türkei?
Güzelmansur: Die Türkei befindet sich seit dem 15. Juli 2016 in einem Ausnahmezustand, der gerade für drei weitere Monate verlängert wurde. Seitdem ist die Lage der Menschenrechte besorgniserregend. Es deutet nichts auf eine Deeskalation der Situation, stattdessen polarisiert sich die Gesellschaft zunehmend. Gleich am Sonntagabend deutete Erdogan an, dass er anstrebt, die Todesstrafe in der Türkei wiedereinzuführen. Das lässt nichts Gutes ahnen.
Frage: Inwiefern ist die christliche Minderheit von alledem betroffen?
Güzelmansur: Seit die Regierungspartei AKP und mit ihr Erdogan in der Türkei an der Macht sind, leben die Christen in der Türkei aus der Hoffnung, dass eine religiös sensible Regierung ihre Situation verstehen und verbessern würde. Es gab zwar hier und da Verbesserungen, aber an den grundsätzlichen Problemen hat sich nichts verändert. Es gibt weder die Möglichkeit, Priester und christliche Theologen auszubilden, noch die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Unsicherheit geht weiter. Bedenkt man, dass im ganzen Nahen Osten die Christen – milde ausgedrückt – unter enormem politischem Druck stehen, wird die prekäre Lage der Christen in der Türkei deutlicher.
Frage: Welche Auswirkungen könnte das Referendum für das Verhältnis zwischen der türkischen Religionsbehörde Diyanet und der Ditib in Deutschland haben?
Güzelmansur: Die Wahlbeteiligung am Referendum im Ausland hat gezeigt, dass die türkische Regierung viele Wege findet, Wähler zu mobilisieren. Die Kooperation zwischen Ditib und Diyanet scheint nach den Ereignissen vom Juli 2016 bis heute noch enger geworden zu sein. Einige islamische Organisationen in Deutschland dienen der türkischen Regierung als Zugang zu den hier lebenden Türkischstämmigen. Ob die türkische Regierung auf diese Möglichkeit verzichten wird, kann man heute nicht sagen.