Von Paula Konersmann (KNA) Bonn (KNA) Bei manchen Büchern überrascht es nicht, wenn eine Verfilmung angekündigt wird.
Das ist bei Sachbüchern seltener der Fall als bei Romanen – doch Ausnahmen bestätigen die Regel. So wie bei “Schwarze Flaggen” von Joby Warrick. Das Werk über den “Aufstieg des IS und die USA” wurde bereits mit dem renommierten amerikanischen Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Im vergangenen Sommer kündigte der Bezahlsender HBO eine Miniserie auf Basis des Sachbuchs an. Die Lektüre lohnt sich davon unabhängig.
Der reportageartige Stil Warricks mag bei dem düsteren Thema Geschmackssache sein: Manchmal fragt sich der Leser, ob der Journalist der “Washington Post” stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit den richtigen Personen gesprochen hat, um verschiedenste Szenen detailreich auszuschmücken. Tatsächlich hat Warrick verschiedene Gefängnisse besucht, war als Beobachter bei Armee-Einheiten und Geheimdiensten – und befragte zahllose Experten. Neben dieser lebhaften Erzählweise besticht sein Werk jedoch vor allem mit Sachkenntnis. Warrick beschreibt die Entwicklung von Al-Qaida hin zum “Islamischen Staat” (IS), zu einem “brutalen neuen Zeitalter”, das sich bereits Mitte der 2000er-Jahre abzeichnete, wenn auch die grausamen Auswirkungen erst in den vergangenen Jahren durch den Terror in Europa sichtbar wurden.
Versuchten die Al-Qaida-Attentäter vom 11. September 2001 noch, theologisch zu argumentieren, so setzt der IS nach Einschätzung Warricks auf kurze, schockierende Propaganda – und eine neue Form von Terrorismus: die “Enthauptung von Geiseln, die auf Video festgehalten und über das Internet direkt in die Wohnstuben auf der ganzen Welt geschickt wurden”. Diese Gewalttaten erschütterten zunächst den Nahen Osten “in einer Weise, wie Al-Qaida es niemals vermocht hatte” und zögen zudem weiterhin hartgesottene Dschihadisten an, so Warrick. Es gehe dem IS darum, sich die Unterstützung der Hardliner zu sichern und “dem Rest der Welt Angst und Schrecken” einzujagen.
Der Hintergrund dieser Hardliner wiederum spielt laut Warrick heute kaum noch eine Rolle – anders als bei der Gruppe Al-Qaida, die vor allem Studenten für sich gewinnen wollte. Einige IS-Anhänger seien dagegen “Kleinganoven und Schläger gewesen, die zur Religion gefunden hatten und von den Eiferern mit offenen Armen empfangen” wurden. Die zentrale Figur des Buchs ist Abu Mus’ab az-Zarqawi; ein Fundamentalist, der argumentierte “wie ein religiöser Radikaler” und bis zu seinem Tod 2006 als sogenannter Top-Terrorist weltweit gesucht wurde. Er radikalisierte sich im Gefängnis – ein Phänomen, vor dem Terrorforscher seit Jahren warnen und das jene Politiker nicht vergessen sollten, die drastische Haftstrafen für sogenannte Gefährder fordern. Das Thema Religion streift Warrick immer wieder. Er schildert beispielsweise die Streitigkeiten, die Zarqawi unter Religionsgelehrten auslöste – und nähert sich damit einem wichtigen Punkt der IslamDebatte.
Sunnitische Muslime haben keine zentrale religiöse Hierarchie, erklärt der Autor: “Sunnitische Muftis können religiöse Edikte, die sogenannten Fatwas erlassen, aber zwei Muftis können bei ein und demselben Thema ganz unterschiedlicher Meinung sein”. Genau solche Widersprüche nutzten und nutzen Extremisten wie Zarqawi. Warrick verweist ferner auf ein Buch des palästinensisch-jordanischen Salafisten Abu Muhammad alMaqdisi namens “Demokratie ist eine Religion”. Ein geradezu komplementärer Vorwurf von Islamgegnern hierzulande lautet, der Islam sei eben keine Religion, sondern eine politische Ideologie. Beides sind Verzerrungen – die aber auf Resonanz stoßen. Die Welt finde bis heute keine Antworten auf diese drängenden Probleme, mahnt der Experte. Die Besprechungen waren euphorisch, als “Schwarze Flaggen” im Frühjahr auf Deutsch erschien. Nur vereinzelt wurde Kritik an Szenen laut, die Warrick so nicht miterlebt haben könne. Die Hintergründe, die er schildert, sind dennoch eine lesenswerte Annäherung an die Frage, die nach jedem neuen Anschlag wieder im Raum steht: Wie konnte es soweit kommen?
(KNA – rkqkr-89-00017)