Berlin (KNA) Die Forderungen nach einem Konzept gegen Antisemitismus werden lauter.
Nach den jüngsten Anti-Israel-Protesten in zahlreichen europäischen Städten plädieren Religionsvertreter und Wissenschaftler für ein neues Konzept gegen Judenfeindlichkeit. Infolge der Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt durch US-Präsident Donald Trump war es zu Demonstrationen gekommen, bei denen antisemitische Hassparolen skandiert und Berichten zufolge Israel-Flaggen verbrannt worden waren. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, forderte am Donnerstag einen entschiedeneren Einsatz gegen Judenhass in Deutschland. “Politik und Sicherheitsbehörden müssen klare Kante zeigen gegen Antisemitismus, auch gegen jenen, der sich als Kritik an Israel oder den USA tarnt”, schrieb Schuster in einem Beitrag für die “Jüdische Allgemeine”. “Unsere kostbare Versammlungsfreiheit darf aber nicht missbraucht werden, um Hass auf einen Staat oder eine Religion zu schüren.”
Hier seien auch die muslimischen Verbände und Imame gefordert, betonte Schuster. “Selbst wenn sie nur eine begrenzte Zahl der Muslime in Deutschland erreichen, können sie doch mäßigend einwirken.” Insbesondere wenn sie selbst zu Demonstrationen aufriefen, trügen sie auch Verantwortung für deren Ablauf. Auch Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) appellierte an muslimische Verbände, sich antisemitischen Tendenzen entgegenzustellen. Wer hier lebe, müsse anerkennen, dass die gesicherte Existenz des Staates Israel Teil der deutschen Staatsräson sei, erklärte Gabriel in Berlin.
Er äußerte sich bei einer Begegnung mit muslimischen Verbänden, die Konzepte für die pädagogische Auseinandersetzung mit Antisemitismus entwickeln. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Mark Dainow, erinnerte beim Jahrestreffen des “Netzwerks zur Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus” an Angriffe auf ein koscheres Restaurant in Amsterdam und einen Brandanschlag auf eine Synagoge in Göteborg. Es gebe keinen gerechtfertigten Antisemitismus und ihn mit “Israel-Kritik” zu rechtfertigen, sei falsch. Dainow gab zu bedenken, warum diese pauschale Neuwortschöpfung, die nur für Israel existiere, überhaupt akzeptiert werde.
Deidre Berger, Direktorin des American Jewish Committee (AJC) in Berlin, sprach sich für mehr Informations- und Aufklärungsangebote und Richtlinien aus, wie im Alltag mit Antisemitismus umgegangen werden sollte. Der Islamexperte Ahmad Mansour forderte ein nationales Konzept für den Umgang mit Antisemitismus. Muslimische Jugendliche würden in den Schulen häufig nicht erreicht. Judenfeinde seien selbstbewusster geworden und hätten weniger Hemmungen, sich zu äußern, sagte der Psychologe und arabischstämmige Deutsch-Israeli im Deutschlandfunk. Den aktuellen Antisemitismus hält Mansour für herkunftübergreifend. “Man findet ihn links, rechts und in der Mitte der Gesellschaft.” Bei Flüchtlingen müsse man differenzieren: Er sei vor allem bei denjenigen verbreitet, die aus Ländern kommen, in denen Antisemitismus eine Art der Sozialisation war.
(KNA – rlmlo-89-00100)