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100 Tage Neuanfang in Tansania – Wohin steuert das Land?

25. Juni 2021
Coronavirus, interreligiöses Zusammenleben, John Magufuli, Samia Suluhu Hassan, Tansania, WHO

Präsidentin Samia hat ein “Klima der Angst” geerbt

Seit Amtsantritt von Tansanias Präsidentin Samia Suluhu Hassan weht in dem Land ein neuer Wind. Ob er stark genug ist, das repressive Erbe der alten Regierung und das andauernde Klima der Angst zu beseitigen, ist offen.

Von Markus Schönherr (KNA)

Dodoma (KNA) Ein altrosa Hidschab und Sonnenbrille – so hatten die Tansanier bisher noch keinen ihrer Staatschefs erlebt. Doch das politischste Symbol an Samia Suluhu Hassans Kleidung ist die FFP2-Maske. Anders als ihr Vorgänger John Magufuli, der das Coronavirus leugnete und im März Gerüchten zufolge an einer Covid-Infektion starb, glaubt Tansanias erste Präsidentin an Fakten. Es weht ein neuer Wind durch Daressalam. Doch ist er stark genug, um Magufulis umstrittenes und repressives Erbe fortzuwehen?

Kurz nach ihrem Amtsantritt vor knapp 100 Tagen entbrannte eine Debatte in Tansanias Parlament: Was unterscheidet Samia von ihrem Vorgänger? Was wird die neue Präsidentin anders machen? “Das ist schlecht – denn wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir nur noch Menschen vergleichen, statt die Nation voranzubringen”, so die neue Amtsinhaberin, die offenbar ihren eigenen Weg gehen will. Doch die Diskussion riss nicht ab. Heute fragen sich die Tansanier mehr als je zuvor, wohin die 1960 auf der Insel Sansibar geborene Politikerin die Nation steuert. Mit ihrem Vorgänger hatte man zuletzt eher bittere Erfahrungen gemacht.

Magufuli war 2015 als progressiver Populist ins Amt gekommen. Er begeisterte etwa mit seinem gnadenlosen Kampf gegen Korruption, die die ostafrikanische Nation seit Jahren plagte. Für Opposition, Journalisten und Aktivisten wurde es in den vergangenen Jahren aber zunehmend eng: Wer Magufulis Führung infragestellte, den erwarteten Gefängnis und andere Sanktionen.

Das mussten nach Ausbruch der Pandemie auch die Ärzte im Land feststellen. Magufuli hatte seinen Landsleuten von einer Corona-Impfung abgeraten. Sein Gesundheitsministerium empfahl der Bevölkerung stattdessen eine Kur aus Dampfbädern. Bald berichteten Ärzte von “vielen Corona-Fällen”; auf Totenscheinen gaben sie aber aus Angst “Lungenentzündung” als Todesursache an. “Du würdest sonst deinen Job verlieren. Es ist sehr gefährlich”, so ein Mediziner.

Unter Samia erlebte die Corona-Politik einen Kurswechsel. Sie trommelte ein Beraterteam zusammen und arbeitet laut der Weltgesundheitsorganisation WHO daran, über die globale Covax-Kampagne Impfstoffe anzuschaffen. “Wir plädieren an die Öffentlichkeit, die Sache ernst zu nehmen”, mahnten die Gesundheitsbehörden am Wochenende.

Einige konnte Samia bereits überzeugen, unter anderem die katholische Kirche. “Die Präsidentin praktiziert Demokratie”, so Weihbischof Method Kilaini, nachdem sie Gespräche mit allen Parteien angekündigt hatte. Kilaini gibt Tansania unter der neuen Staatschefin Chancen auf “Heilung”.

Die Präsidentin des gleichermaßen christlich und muslimisch geprägten Landes wiederum will vermehrt mit den Kirchen zusammenarbeiten: “Wir tun dies im Verständnis, dass, wenn religiöse Führer sprechen, ihre Worte direkt in die Herzen der Gläubigen sinken.” Kardinal Polycarp Pengo, emeritierter Erzbischof von Daressalam, versicherte Samia: “Die Regierung wird Ihre Arbeit weiter unterstützen.”

Samia kündigte neben einer neuen Corona-Politik auch Reformen in Wirtschaft und Medien an. Dafür erntete sie sogar Lob von der drangsalierten Opposition. “Die Menschen üben ihr Recht auf freie Meinungsäußerung aus. Medien berichten nun über Entwicklungen, über die sie während Magufulis Zeit schweigen mussten”, berichtet Oppositionsführer Zitto Kabwe dem Magazin “Africa Report”. Es gebe aber noch viel Nachholbedarf.

“Während ihrer Ansprache zur Amtseinführung hat Samia nicht klargestellt, ob sie mit den Missständen der Magufuli-Ära brechen wird”, meint Oppositionspolitiker Tundu Lissu. Warum ihm dies so wichtig ist? 2017 wurde er mit 16 Kugeln angeschossen und zum Sterben zurückgelassen. Er überlebte das vermutlich politische Attentat nur knapp.

Was Regierungsgegner stört, ist, dass 100 Tage nach Magufulis Tod nach wie vor dessen Günstlinge in den Behörden walten und die Polizei jederzeit seine repressiven Gesetze vollstrecken kann. “Am wichtigsten wären Justizreformen, um wieder ein demokratisches Umfeld herzustellen”, meint Kabwe. Er und andere Beobachter berichten von einem Erbe Magufulis, dessen Auflösung wohl die größte Herausforderung für Präsidentin Samia Hassan wird: ein “Klima der Angst”.

© KNA

Beitragsbild: aga2rk via Pixabay

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