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Experten verurteilen Austritt der Türkei aus Istanbul-Konvention

01. Juli 2021
Amnesty International, GfbV, Göttingen, Istanbul-Konvention, Kamal Sido, Recep Tayyip Erdogan, Türkei

Göttingen (KNA) Am (morgigen) Donnerstag tritt die Türkei aus der Istanbul-Konvention aus, die Frauen und Mädchen vor häuslicher Gewalt schützen soll. Amnesty International (AI) erklärte in Berlin, dieser Schritt werde Millionen von Frauen und Mädchen einem erhöhten Risiko von Gewalt aussetzen. Der Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Kamal Sido, sagte in Göttingen, das Übereinkommen habe Hoffnungen auf mehr Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt geweckt. “Diese Hoffnung zerschlägt sich mit dem Verlassen des Vertrags.”

Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte den Rückzug damit begründet, dass die Konvention die traditionelle türkische Familie bedrohe. “Türkische Familien sollen sich einem konservativen ‘Idealbild’ unterwerfen und sich von westlichen Modellen mit stärkerer Gleichberechtigung entfernen”, sagte Sido. Erdogan erhoffe sich von diesem Schritt bessere Umfragewerte.

Zugleich berichteten Frauenrechtsorganisationen von einem Anstieg häuslicher Gewalt während der Corona-Pandemie, so die GfbV. Auch hätten insbesondere alevitische und kurdische Frauen gegen den Austritt protestiert. “Sie wehren sich gegen die zunehmend islamistische Männerherrschaft, die die türkische Regierung anstrebt”, erklärte Sido. Zudem behandelten Gerichte es häufig als Familienangelegenheit, wenn Frauen oder Mädchen nach einer Vergewaltigung ermordet würden. “Diese katastrophale Sichtweise wird durch das Verlassen der Istanbul-Konvention gestärkt.”

Die Türkei war der erste Staat, der die Konvention ratifizierte. Sie wurde am 11. Mai 2011 von 13 Mitgliedstaaten des Europarats in Istanbul verkündet. Bis März 2020 wurde das Übereinkommen von 45 Staaten unterzeichnet und von 34 ratifiziert. Nun tritt der Austritt der Türkei am Donnerstag (1. Juli) in Kraft.

Länder, die die Konvention ratifiziert haben, darunter auch Deutschland, sind verpflichtet, die Überlebenden der Gewalt zu schützen und zu unterstützen. Sie müssen zudem Dienstleistungen wie Notrufe, Frauenhäuser, medizinische Leistungen, Beratung und rechtlichen Beistand einrichten.

Amnesty erklärte, die Aufkündigung dieses wegweisenden Vertrags durch die türkische Regierung werde in die Geschichte eingehen, da somit erstmals ein Mitglied des Europarats aus einer internationalen Menschenrechtskonvention austrete. AI-Generalsekretärin Agnes Callamard sprach von einem erschreckenden Präzedenzfall. “Der Austritt aus der Istanbul-Konvention sendet eine rücksichtslose und gefährliche Botschaft an die Täter, die missbrauchen, verstümmeln und töten: Sie können dies ungestraft tun”, sagte sie. “Diese bedauerliche Entscheidung ist bereits zu einem vereinigenden Moment für Frauenrechtlerinnen auf der ganzen Welt geworden, und wir müssen zusammenkommen, um weiteren Angriffen auf unsere Rechte zu widerstehen.”

© KNA

Beitragsbild: Osman Köycü via Unsplash

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