München (KNA) Der Münchner Theologe Michael Seewald wendet sich gegen die Behauptung, dass Muslime ein generelles Problem mit der Anerkennung von Demokratie haben. Hierbei gelte es zu unterscheiden zwischen der Tradition des Islam und der religiösen Identität des Einzelnen, schreibt Seewald in einem Gastbeitrag der “Süddeutschen Zeitung” (Dienstag). Die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie entscheide sich nicht auf dem Boden der “reinen Lehre”, wie sie in Koran und Scharia niedergelegt sei, sondern auf der Ebene der individuellen Haltung von Muslimen zur Welt, in der sie leben. Dogmatische Bekenntnistradition und religiöse Identität stünden in einer Spannung zueinander, so der katholische Theologe, der an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität lehrt sowie als Lehrstuhlvertreter für Dogmatik an der Universität Bonn. Werde diese Spannung radikal aufgelöst, “erfolgt entweder der Abschied von der Religion, die angesichts der Welt nicht mehr kohärent erscheint, oder der Abschied von der Welt, die als so gottwidrig wahrgenommen wird, dass man keine Kompromisse mit ihr eingehen kann. Wird die Spannung jedoch austariert, setzt sich eine Dialektik in Gang, die religiöse Identitäten fortentwickelt.” Das Verhältnis von Religion und säkularer Demokratie sei nicht von vornherein freundschaftlich. Dies sage aber wenig über das Verhältnis gläubiger Menschen, Christen wie Muslimen, zum demokratischen Staat aus. Die säkulare Demokratie verdanke dem Christentum zwar viel, habe sich aber meist gegen den Widerstand der Kirchen durchgesetzt. So habe die katholische Kirche erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) zu einer positiven Haltung zur Religionsfreiheit gefunden. Der deutsche Staat könne Muslimen keine demokratiefreundliche Einstellung verordnen. Es spreche aber nichts dagegen, dass muslimische Neuankömmlinge im religionsfreundlichen Klima der Bundesrepublik ebenso wie Christen eine religiöse Identität entwickeln könnten, die Demokratie bejaht. (KNA – qlmlt-89-00197)