Bonn/Straßburg (KNA) Der Bonner Staatsrechtler Christian Hillgruber begrüßt die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, nach der Schulen muslimische Mädchen zur Teilnahme am gemischten Schwimmunterricht verpflichten dürfen. Das Urteil erkenne darin zwar einen Eingriff in die Religionsfreiheit, halte diesen aber “mit Blick auf die Integrationsfunktion der Schule für der Schülerin zumutbar und angemessen”, betonte der Experte für Religions- und Verfassungsrecht am Dienstag auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Straßburger Entscheidung decke sich “voll und ganz mit der jüngsten einschlägigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts” von 2013. Darin, so Hillgruber weiter, werde ausführlich begründet, warum auch aus grundgesetzlicher Perspektive grundsätzlich kein Befreiungsanspruch vom koedukativen Schwimmunterricht bestehe. Auch das Bundesverwaltungsgericht betone dabei die überragende Bedeutung der Integrationsfunktion der Schule. Diese könne aber nicht erfüllt werden, wenn sich die Unterrichtsgestaltung nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Vorstellungen der Beteiligten ausrichten müsse. Eine Befreiung von der Pflicht zur Teilnahme am Unterricht komme nur bei einer besonders gravierenden Intensität der Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit in Betracht, die hier aber nicht vorliege Hillgruber betonte darüber hinaus, dass Schulpraxis und Rechtsprechung früher großzügiger mit Unterrichtsbefreiungsanträgen aufgrund religiöser Überzeugungen von Muslimen verfahren seien. Mit Blick auf die kulturell vielfältiger gewordene Zusammensetzung der Schülerschaft, bei der dann ein Unterricht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner drohe sowie “mit Rücksicht auf desintegrative Entwicklungen in der Gesellschaft” sei diese Praxis “strenger geworden, wie ich finde, zu Recht”. Es habe auch schon Befreiungsanträge strenggläubiger christlicher Eltern gegeben, die allerdings schon früher abschlägig beschieden worden seien, ergänzte der Staatsrechtler: “Eine unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Glaubensrichtungen ist aus Gleichheitsgründen nicht vertretbar.” Auch vom Sexualkundeunterricht könne man sich grundsätzlich nicht befreien lassen, betonte Hillgruber abschließend: “Er muss aber altersgerecht und so durchgeführt werden, dass den unterschiedlichen Werthaltungen im Hinblick auf Sexualität angemessen Rechnung getragen wird, nicht bestimmte sexuelle Praktiken propagiert werden und das natürliche Schamgefühl geachtet wird.” Im konkreten Fall hatten zwei muslimische Familien in Basel ihre jungen Töchter vom gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht abgemeldet. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof bestä- tigte nun das Vorgehen Schweizer Behörden und des Staates, diese Abmeldung nicht zuzulassen. Das gesamtgesellschaftliche Interesse wiege schwerer als die persönlichen religiösen Vorstellungen der Familie. Das Urteil sei richtig und gut, betonten unter anderem die muslimische Religionspädagogin Lamya Kaddor, der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir, die CDU-Menschenrechtsexpertin Erika Steinbach und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz (SPD). Auch der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime begrüßte die Entscheidung. “Ich rechne damit, dass es nur bei einer Minderheit der Muslime in Deutschland eine abweichende Meinung dazu gibt”, so Aiman Mazyek in der “Heilbronner Stimme” (Mittwoch).
(KNA – rkllk-89-00182)