Von Karin Wollschläger (KNA) Leipzig (KNA) Die Ängste sind vielfältig und diffus: “Ich habe Angst, dass alles aus dem Ruder läuft.” – “Bei den Muslimen kann man gar nicht genau unterscheiden, wer wozu gehört und wofür sie wirklich stehen.” – “Ich habe Angst, dass wir es nicht schaffen, das durchzusetzen, was uns ausmacht, und dass wir Minderheiten zu sehr entgegenkommen.” Dies sind Stimmen Leipziger Bürger, stellvertretend für Ängste und Unsicherheiten, die zahlreiche Menschen in Deutschland umtreiben – und die von Rechtspopulisten gern instrumentalisieren werden. Knapp 150 Leipziger schreiben sie an diesem Freitag in der örtlichen Kongresshalle auf bunte Zettel und diskutieren die Frage: “Ist Glauben Kitt oder Keil unserer Gesellschaft?” Eingeladen zum Bürgerdialog hat Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU). Wiewohl 82 Prozent der Leipziger konfessionslos sind, ist das Interesse an dem Thema intensiv, wie sich in den Diskussionen in wechselnden Kleingruppen zeigt. Zusammen mit dem Minister sind auch prominente Vertreter diverser Religionsgemeinschaften und des Humanistischen Verbands nach Leipzig gekommen. Zur Sprache kommt etwa die Frage nach öffentlicher Präsenz und Einfluss von Kirchen und Religionen. Die Berliner Rabbinerin Gesa Ederberg betont: “Es ist wunderbar, dass in Deutschland Religionen eine Stimme und einen Platz im öffentlichen Raum haben – damit sind wir auch aus den Hinterhöfen herausgeholt.” Im Vergleich zu den USA gebe es hierzulande viel weniger religiösen Fundamentalismus. “Wichtig finde ich zum Beispiel, dass die Geistlichen an öffentlichen Universitäten in Deutschland ausgebildet werden.” Thema ist auch die Bedeutung der Religionsgemeinschaften für das Gemeinwesen. “Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist in einem Land mit Kirchen stärker als in einem Land ohne”, sagt de Maiziere. Der Präsident des Humanistischen Verbands Deutschland, Frieder Otto Wolf, pflichtet ihm bei: Das soziale Engagement der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sei unerlässlich in der Gesellschaft. Zugleich mahnt er, dass Religionen andere nicht ausgrenzen dürften. Toleranz, Offenheit und wechselseitiger Respekt sind Schlagworte, die immer wieder fallen, wenn es in den Diskussionen darum geht, wie ein friedliches Miteinander in der heutigen Gesellschaft möglich ist. So warnt etwa die Paderborner muslimische Theologin Hamideh Mohagheghi davor, Moscheen unter Generalverdacht zu stellen: “Extreme islamische Ideologie geht viel stärker vom Internet aus.” De Maiziere macht zugleich deutlich, dass das Bekenntnis zur Verfassung unerlässlich sei: “In der Diskussion mit Islamverbänden muss man natürlich die Frage stellen: Was ist euer Verhältnis zum Grundgesetz?” An einem Tisch kommt die Diskussion auf, warum die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Terroranschlag von Berlin im Dezember in einer christlichen Kirche stattfand. “Wäre nicht ein neutraler Ort besser gewesen?”, fragt jemand. Die Diskussion geht hin und her. Die katholische Theologin Dagmar Mensink wirft schließlich die Frage auf: “Wäre solch ein Gedenken eigentlich nicht auch in einer Moschee möglich gewesen, wenn die muslimische Community dazu eingeladen hätte?” Ein junger Mann bezeichnet “Fake News” als großes Problem für den gesellschaftlichen Zusammenhalt: “Gerade rechte Gruppen lancieren damit Vorurteile und schüren Ängste.” Die anderen Diskussionsteilnehmer am Tisch nicken: “Da muss die Öffentlichkeit stärker einschreiten.” – “Ja, und die Medien!” – “Man muss da direkt gegenhalten.” De Maiziere nickt: “Wenn wir jetzt ‘man’ durch ‘wir’ ersetzen, sind wir schon ein ganzes Stück weiter.” Am Ende der Veranstaltung bilanziert der Minister: “Sehr viel Angst und Unsicherheit resultiert aus fehlender religiöser Bildung.” In Schulen und Kindergärten über Religionen und ihre Inhalte zu sprechen, sei ja noch leicht. “Aber wie thematisieren wir das bei Erwachsenen? Das nehme ich als Frage mit.” Zugleich betont er: “Wenn Menschen erwachsen sind, ist es nicht staatliche Aufgabe, religiöses Wissen zu verbreiten.” Das sei Aufgabe der Gesellschaft. “Und da würde ich mir mehr Offensivität wünschen.” (KNA – rkmkn-89-00151)