Von Christoph Schmidt (KNA) Bonn/Luxemburg (KNA) Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat am Dienstag Rechtsgeschichte geschrieben. Erstmals hat das Gericht über das Recht privater Arbeitgeber entschieden, muslimischen Frauen das Kopftuch, den sogenannten Hidschab, zu verbieten. Eine französische Projektingenieurin, die von einer IT-Beratungsfirma gekündigt worden war, erhielt Recht. Das Unternehmen hatte sie entlassen, nachdem ein Kunde sich über ihren Schleier beschwert hatte und die Frau nicht nachgab. Aus Sicht der Richter ein klarer Fall von Diskriminierung, weil die Sanktion sich ausschließlich gegen ein religiöses Symbol des Islam richtete und ein Kopftuchverbot keine “wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung” darstelle. Anders werteten sie die Klage einer gekündigten Rezeptionistin aus Belgien, die nicht auf den Hidschab verzichten wollte. In ihrem Fall hatte der Arbeitgeber seinen Angestellten religiöse Symbole generell untersagt. Dies sei keine “unmittelbare Diskriminierung”, solange er dabei alle Religionen und Weltanschauungen gleich behandelt, urteilte der EuGH. Gerichtsverfahren um das islamische Kopftuch sind inzwischen Justiz-Routine. Meist jedoch geht es dabei um die Frage, ob der Schleier im staatlich-öffentlichen Raum sichtbar sein darf. Das betrifft vor allem Lehrerinnen an staatlichen Schulen. Das Recht auf Religionsfreiheit kollidiert hier mit dem Neutralitätsgebot des Staates. 2015 entschied das Bundesverfassungsgericht zugunsten der religiö- sen Selbstbestimmung und lehnte ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen ab. Karlsruhe distanzierte sich damit von seinem 2003 gefällten Urteil, das den Bundesländern das Recht zuschrieb, per Schulgesetz Kopftuchverbote zu erlassen. Dies ist derzeit in mehr als der Hälfte aller Länder der Fall. Noch Anfang Februar siegte eine Lehramtsbewerberin gegen das Land Berlin, das sie wegen ihres Kopftuches nicht einstellen wollte. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) entschied 2015, dass französische Staatsbedienstete während der Arbeit kein Kopftuch tragen dürfen. Allerdings ist die Trennung von Staat und Religion im laizistischen Frankreich noch strenger geregelt als in Deutschland. Prozesse auf höchster Ebene mit nichtstaatlichen Arbeitgebern um das Tragen religiöser Symbole waren bisher selten. Denn hier ließ das private Arbeitsrecht europäischen Unternehmen bisher relativ breiten Spielraum – siehe den nun entschiedenen Fall der belgischen Rezeptionistin. Für einiges Aufsehen sorgte deshalb eine Entscheidung des EGMR von 2013, das die Kündigung einer Check-inBediensteten von British Airways wegen des Tragens eines kleinen Kreuzanhängers für nichtig erklärte. Das am Dienstag vom EuGH gefällte Doppelurteil zeigt die Ambivalenz solcher Streitfälle. Demnach müssen zwei wesentliche Bedingungen erfüllt sein, um Arbeitgebern Eingriffe in die Religionsfreiheit ihrer Mitarbeiter zu gestatten: Ein Verbot religiöser Symbole muss ausnahmslos für alle gelten und zugleich verhältnismäßig und objektiv erforderlich sein, damit der Geschäftsbetrieb und die Arbeitsabläufe eines Unternehmens nicht gestört werden. Dies dürfte nach Ansicht von Beobachtern auch verhindern, dass etwa deutsche Arbeitgeber nun massenhaft ein generelles Verbot religiöser Symbole aussprechen. Wo es zum Beispiel keinen Kontakt mit Kunden gibt, dürfte ein solcher Bann schwer zu rechtfertigen sein, so die Arbeitsrechtlerin Doris-Maria Schuster im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur. In jedem Fall hat der EuGH mit seiner Auslegung des Gemeinschaftsrechts eine Definition vorgelegt, die nationale Arbeitsgerichte schwerlich ignorieren können. Die Luxemburger Verfahren zeigen auch, dass die europäischen Gesellschaften in immer mehr Lebensbereichen die Frage serviert bekommen, wie sie künftig mit einem immer sichtbareren, weil konservativen Islam umgehen wollen. Die eigentlich umstrittene Frage – inwiefern nämlich die islamischen Religionsquellen die Bedeckung der Frau ausdrücklich fordern oder nicht und was das für die Integration bedeutet – wird aber nicht vor europäischen Gerichten entschieden. Das ist Sache der islamischen Community in Europa.
(KNA – rknlo-89-00137)