Von Paula Konersmann (KNA) Bonn (KNA) Wie konnte das passieren? Das war bisher die erste Frage nach dem Schock über einen neuerlichen Terroranschlag. Das betraf einerseits die Sicherheitslage und die Arbeit der Behörden, andererseits den Weg, der junge Europäer in den Islamismus geführt hatte. Immer wieder war zu hören, dass extreme Ideologien vermeintlich einfache Antworten auf schwierige Fragen bieten. Doch wie geraten junge Menschen in solch einen Sog? Forscher stellen die Frage nun etwas anders: Sie befassen sich vermehrt mit dem Warum. Antworten verspricht die Psychologie. Einer, der dieses Feld in Deutschland schon länger beackert, ist Ahmad Mansour. Der Buchautor, der unter anderem bei der Berliner Beratungsstelle “Hayat” arbeitet, hatte sich als Jugendlicher selbst radikalisiert. In der Szene herrsche ein “fatales, falsches Verständnis von Religion, das Menschen entmündigt, Angst und Verschwörungstheorien verbreitet und Sexualität tabuisiert, das Opfer- und Feindbilder schafft und einen Exklusivitätsanspruch vertritt”, erklärte Mansour kürzlich im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Auf diese vermeintlich religiösen Fragen sei die “Generation Allah”, so schreibt Mansour in seinem gleichnamigen Buch, geradezu fixiert. Die Betroffenen sähen sich selbst als “stolze Muslime” und Teil der “Umma”, der muslimischen Gemeinschaft der Gläubigen. Einen Schritt weiter geht der französische Psychoanalytiker und Islamismusforscher Fethi Benslama. Wo Mansour vom “stolzen Muslim” spricht, beschreibt er – analog zu Sigmund Freuds Über-Ich – das Ideal des “Übermuslims”. Viele Jugendliche litten darunter, als Muslime nicht gut genug zu sein, erläuterte der Experte in einem Interview der “Zeit”. Der “Übermuslim” ist nach seiner Definition stolz statt demütig, betrachtet sich als “wahren” Muslim und sieht den “verwestlichten” Muslim ebenso kritisch wie den feindlichen Westen. Wer diese Sichtweise absolut setze, so Benslama, “wertet sich im Gefühl der eigenen Nichtigkeit durch die Ideale des Islamismus auf”. Der Islamismus erfülle eine vergleichbare Funktion wie Alkohol oder Drogen, sagte er der Zeitung: Jugendliche radikalisierten sich, um ihre Nöte zu heilen oder zumindest zu lindern. Verstärkt wird dieses innere Leid durch eine gefühlte oder tatsächliche Ungleichbehandlung. Viele Muslime erlebten etwa das Burkaverbot in Frankreich als Demütigung, meint der französischiranische Soziologe Farhad Khosrokhavar. Radikalisierung biete einen scheinbaren Ausweg, um diesen Würdeverlust zu überwinden. Benslama schreibt in seinem soeben erschienen Buch “Der Übermuslim”: “Sobald die Religion entdeckt wird, schießt der Fahrstuhl des Narzissmus in die Höhe.” Von dort aus blicke der Einzelne “verächtlich auf die Menschheit” herab. Und wer einmal radikalisiert ist, so lässt sich in Khosrokhavars Worten ergänzen, den “ermächtigt der mythifizierte Islam zur Ausweitung der Gewalt auf die gesamte Menschheit.” Das Problem beschränkt sich nicht auf die soziale Unterschicht, so Benslama, der 15 Jahre lang eine öffentliche Sprechstunde in der Pariser Banlieue Saint-Denis angeboten hat. Die auffälligste Gemeinsamkeit radikalisierter Menschen sei ihr junges Alter, in dem viele Menschen mit Identitätskonflikten zu kämpfen hätten. Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit verweist auf die körperliche Unsicherheit der Adoleszenz: “Die Betroffenen erleben eine Angst vor der Fragmentierung des eigenen Körpers, die mit Worten wie ‘Depression’ nur unzureichend beschrieben ist. Und dann bieten ihnen die Dschihadisten eine sichere Gruppe, Macht und die vermeintliche Chance, etwas zu erreichen”, sagte er einmal der KNA. Genau hier biete die Psychoanalyse die Chance, aus den Erkenntnissen auch Konsequenzen zu ziehen, etwa für Deradikalisierungsprogramme, so Benslama. Auch Mansour wirbt für Teams aus Sozialarbeitern, Psychologen, Islamismusforschern. Jede Disziplin habe aber Grenzen: “Was hilft etwa ein Psychologe, der nichts über die Terrormiliz IS weiß, wenn genau deren Propaganda den Jugendlichen angesprochen hat?”
(KNA – rknml-89-00035)