(Radio Vatikan) Nach dem mutmaßlichen Giftgasanschlag vom Dienstag auf Zivilisten in Nordwestsyrien hat der Heilige Stuhl seine Forderung nach einem Gewaltstopp in dem Kriegsland erneuert. Die Menschen in Syrien setzen allerdings nach unzähligen Appellen, Sicherheitsrats-Sitzungen und Syrien-Konferenzen kaum noch Hoffnung in den Einsatz der Weltgemeinschaft für eine Befriedung des Landes. Das berichtet aus Syrien der Nuntius in Damaskus, Kardinal Mario Zenari:
„Die Menschen in Syrien können nicht mehr, und hier hat man manchmal Mühe, überhaupt noch an die internationale Gemeinschaft zu glauben. Das Volk ist müde von den ganzen Worten, auch von Resolutionen, die letztlich nicht verwirklicht wurden. Es ist enttäuscht und skeptisch. Man muss von Worten zu Taten übergehen und auch in diesen Fall die Zivilisten, die Wehrlosesten, die Kinder schützen!“
Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht
Dass im Syrienkrieg auch weiterhin Zivilisten sterben, verstoße gegen humanitäres Völkerrecht, erinnert Zenari im Interview mit Radio Vatikan. Bei der Syrien-Konferenz in Brüssel am Mittwoch hatte der vatikanische Außenminister darauf gedrängt, hier keine Abstriche zu machen. Die Kampfhandlungen müssten eingestellt und eine politische Lösung gefunden werden, bekräftigte Erzbischof Paul Richard Gallagher die Position des Heiligen Stuhles. Der Vatikan sei „sehr besorgt über das enorme menschliche Leiden, das Millionen unschuldige Kinder und andere Zivilisten trifft, die von elementarer humanitärer Hilfe, medizinischer Versorgung und Bildung ausgeschlossen bleiben.“
Die Umstände des grausamen Angriffs auf die von Rebellen kontrollierte Kleinstadt Khan Sheikhoun sind weiter unklar. Laut Medienberichten stieg die Zahl der Todesopfer zuletzt auf 86, darunter sind 20 Frauen und 30 Kinder. Kardinal Zenari sieht mit dem schrecklichen Anschlag so kurz vor dem Osterfest die Opfer regelrecht mit Jesus ans Kreuz genagelt, wie er bildhaft formuliert: „Wie stehen kurz vor Ostern, der Passion Christi. Und da denke ich an Jesu letzten Atemzug – darin sind all die letzten Atemzüge solcher unschuldiger Menschen enthalten. Er war unschuldig. Und jetzt all diese Kinder – als Christ denke ich, dass sie am engsten mit der Passion Christi verbunden sind.“
Weltweit wurden nach dem Anschlag in Idlib Forderungen nach schneller Aufklärung und Bestrafung der Verantwortlichen laut. Die Opfer des Anschlags zeigten laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO Symptome, wie sie bei Kontakt mit sogenannten Nervenkampfstoffen auftreten. Der deutsche Außenminister Gabriel forderte etwa, „die Verantwortlichen vor ein internationales Gericht zu bringen“. Kardinal Zenari:
„Es ist jetzt an der internationalen Gemeinschaft herauszufinden, was genau passiert ist und wer verantwortlich ist. Was man sicher festhalten muss: Es sind arme Zivilisten, darunter eine hohe Zahl Kinder, die die Konsequenzen dieses schrecklichen Krieges und des jüngsten Anschlages zahlen müssen.“
Bischof von Aleppo: Kein vorschnelles Urteil
Vorsichtig äußerte sich nach der Attacke der chaldäisch-katholische Bischof von Aleppo und Präsident der syrischen Caritas, Antoine Audo. Angesichts der unübersichtlichen aktuellen Lage, hinter der sich zahlreiche Interessen und Akteure verbergen würden, könne man nicht hundertprozentig sicher sein, wie die Dinge wirklich stünden, sagte Audo am Mittwoch laut „Pro Oriente“. Dass das syrische Regime dahinter stehe, sei nicht sicher: „Auf der Grundlage unserer Erfahrungen wissen wir, dass die syrische Regierung nicht so unbedarft und ignorant ist, solche grundlegenden Fehler zu begehen.“
Bischof Audo stellte fest, dass der syrischen Konflikt vielen rätselhaft und von gegensätzlichen Propaganda-Konzepten verzerrt erscheine: „Bereits in anderen schwierigen Momenten des Kriegs hat sich der Vorwurf des Einsatzes von chemischen Waffen als destabilisierend erwiesen. Vor zwei Tagen hat Präsident Trump erklärt, dass er Assad als einen Teil der Lösung des Problems betrachtet. Nun sagt er das Gegenteil.“ Es gebe Interessen der Regionalmächte, die eine Rolle spielten. Dies sollte man stets bedenken, wenn sich ähnliche Szenarien wiederholen und zu ähnlichen Reaktionen führten, so Bischof Audo.
(rv/kap 06.04.2017 pr)