Von Alexander Brüggemann (KNA) Rom/Bonn (KNA) Für Ökumene-Interessierte ist es ein historisches Schmankerl. Erstmals seit über einem Jahrtausend treffen am Freitag in Ägypten die Nachfolger der Apostel Petrus und Andreas und des Evangelisten Markus an einem Ort zusammen: Papst Franziskus, Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel und der koptische Papst Tawadros II.
Die Begegnung ist von hohem symbolischen Wert für die Bemühungen um eine Überwindung der Kirchenspaltungen – und auch für den interreligiösen Dialog. Denn Einladender einer Konferenz zum Thema Frieden ist der Großimam der AlAzhar-Universität in Kairo, Ahmed Mohammed al-Tayyeb. Die Universität ist die angesehenste Lehrautorität des sunnitischen Islam. In der Ökumene gab es zuletzt “historische” Begegnungen wie seit dem “Frühling des Zweiten Vatikanischen Konzils” in den 1960er Jahren nicht mehr: das Treffen des Papstes mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill auf Kuba im Februar 2016; der Flüchtlingsgipfel der griechisch-orthodoxen Kirche mit Franziskus auf Lesbos.
Und nun begegnen sich in Ägypten die drei vornehmsten Patriarchen der frühkirchlichen sogenannten Pentarchie. Dieses vor allem orthodoxe Kirchenbild der Spätantike und des frühen Mittelalters bedarf der Erläuterung: Die Alte Kirche kannte seit dem Konzil von Chalcedon 451 eine Rangfolge der fünf wichtigsten Patriarchate: Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem. Der byzantinische Mönch und Kirchenlehrer Theodor Studites (759-826) sprach von der “fünfhäuptigen Macht der Kirche”.
Gemeint war damit eine Leitungsgewalt der fünf Patriarchen – in gemeinsamer Verantwortung. Diese fünf Patriarchen stehen in gleicher Weise in der Nachfolge der Apostel – und sie wurden als die wichtigsten Einheitszentren der einen Kirche verstanden.
Alle anderen Teilkirchen, so das Idealbild, mussten mit diesen fünf im Glauben verbunden sein. Jedes Patriarchat der Pentarchie hatte sein je eigenes Territorium mit den ihm unterstellten Metropoliten, Bischöfen und Gläubigen zu leiten. Ein Übergriff eines Patriarchen in den Zuständigkeitsbereich des Kollegen war untersagt. Wenn Fragen zur Entscheidung anstanden, trafen sich die Bischöfe auf dem vom byzantinischen Kaiser einberufenen Ökumenischen Konzil. Rom mit Apostelgräbern von Petrus und Paulus kam der Ehrenvorrang des Primus inter pares zu. Der Patriarch von Konstantinopel, Nachfolger des Apostels Andreas, nahm den zweiten Rang ein, da die Stadt als Regierungssitz des oströmischen Kaisers das “Neue Rom” sei.
Bis heute ist er Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie. Der dritte Rang der Pentarchie kam Alexandria zu, dessen Patriarchen sich auf das Martyrium des Evangelisten Markus berufen. Allerdings gibt es heute in der antiken Residenzstadt Markus Nachfolger verschiedener christlicher Konfessionen. Tawadros II. ist koptischer Papst von Alexandrien und Ganz Afrika. In der Tradition der alten Pentarchie steht genau genommen der griechischorthodoxe Patriarch von Alexandrien, seit 2004 Theodoros II.
Rang vier und fünf haben Antiochien und Jerusalem; erstere als Stadt der Apostel und Apostelschüler und Sitz einer wichtigen theologischen Schule. Heute residieren der griechisch-orthodoxe und der melkitische Patriarch von Antiochien im syrischen Damaskus. Jerusalem schließlich ist die Stadt der Auferstehung Christi und der “Thron des Jakobus”; denn als erstes Oberhaupt der Jerusalemer Gemeinde gilt Jakobus “der Herrenbruder”. Spätestens mit dem zweiten Jahrtausend wurde das Kirchenbild der Pentarchie im lateinischen Westen obsolet.
Hier entwickelte sich von Rom aus ein vor allem rechtliches Bild von Kirche – mit dem römischen Papsttum an der Spitze einer Hierarchie. In den Ostkirchen jedoch hat sich der Wunsch nach einer Rückkehr zur “fünfhäuptigen Macht der Kirche” erhalten – zumindest in der Theorie. Nach dem definitiven Ausscheiden Roms aus der Pentarchie und dem Untergang des Byzantinischen Reiches (1453) wurde Moskau 1589 zum Patriarchat erhoben und von der Synode der vier verbliebenen Pentarchen 1593 in Istanbul neu an die fünfte Stelle gereiht.
Moskau versteht sich freilich selbst als das “Dritte Rom”; zudem hat es die bei weitem meisten Kirchenmitglieder in der orthodoxen Welt aufzuweisen. Daher beäugt es sowohl die Rolle des Ehrenprimats von Konstantinopel als auch jede ökumenische Annäherung von Rom und Konstantinopel sehr argwöhnisch. Auch in diesem Licht der alten “Pentarchie” ist der wohlmeinende Verzicht von Papst Benedikt XVI. (2005-2013) auf den Patriarchentitel von Rom im Jahr 2006 zu sehen.
Der ökumenefreundliche Theologe Joseph Ratzinger wollte damit neue Denkwege zur Ausübung eines päpstlichen Primats eröffnen. Viel mehr Schwierigkeiten als mit dem des (von ihr anerkannten) “Patriarchen des Westens” hat die Orthodoxie allerdings mit anderen historisch entstandenen Titeln Roms, etwa dem “Stellvertreter Christi” oder dem “Obersten Hirten der universalen Kirche”. Die Begegnung in Kairo ist also weit davon entfernt, die Vision der alten Pentarchie neu zu beleben. Einer der hübscheren Wimpernschläge der Kirchengeschichte ist sie aber allemal.
(KNA – rkomq-89-00143)