Die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer erzählt hier die Geschichte dieser Weltreligion von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Sie beschreibt die Entwicklung des Islam, zeigt auf, wie sie mit der Geschichte von Politik, Recht, Gesellschaft und Kultur verknüpft ist. Der Islam war von Beginn an eine weltoffene Religion: Seit der Gründung der ersten Gemeinde durch Muhammad und den frühen Eroberungen stand er im Austausch mit anderen Religionen und Kulturen. In der arabischen Welt entstand so ein deutlich anderer Islam als in Iran, Indonesien oder auf dem Balkan. Das zeigen unterschiedliche islamische Kunststile ebenso wie unterschiedliche Vorstellungen von Recht und gesellschaftlicher Ordnung. Wenn sich der Islam heute in Auseinandersetzung mit dem Westen in einem tiefgreifenden Wandel befindet, so wird damit ein Prozess fortgesetzt, der bereits vor Jahrhunderten begann.
Das Buch Gudrun Krämer: Geschichte des Islam ist im C.H. Beck Verlag unter der ISBN 978-3-406-53516-1 erschienen und kostet 24,90,-€.
Rezension von Alexander Görlach
»Die Geschichte des Islam« ist ein durch und durch fulminantes Werk: Gudrun Krämer versteht es, auf 300 Seiten eine komplette und kompakte Einführung in die Entstehung, Geschichte und Gegenwart der Weltregionen zu geben, die maßgeblich von der Religion und der Kultur des Islam geprägt werden. Krämer orientiert sich beim Aufbau ihres Buches nicht ausschließlich an chronologischen Gesichtspunkten, sie bündelt vielmehr die relevanten Aspekte eines Kultur- und Zeitraums in kapitelumfassende Aussagen: In »Gebahnte Wege. Von der Tradition zur Religion« und »Eine Gesellschaft in Bewegung«, den ersten beiden Kapiteln ihres Buches, synchronisiert sie zum Beispiel in stilistisch nahezu vollendeter Weise die topographischen, regionalen und sozio-kulturellen Gegebenheiten im Arabien des 7. nachchristlichen Jahrhunderts zu einer Zusammenschau, die dem Leser den Nährboden erlebbar macht, auf dem der Islam entsteht und die Welt erklärt, in die Muhammad hineingeboren wird. Die Phase der Reichsgründung wird von Krämer menschlich durchdrungen erzählt: Sie greift weder auf die Topoi einer Glorifizierung des »Goldenen Zeitalters« wie sie die islamische Geschichtsschreibung kennt, noch auf eine Form der Polemik, wie sie in den Beschreibungen des Islam im christlichen Abendlands gegenüber dem Islam kannte, zurück. Sie befreit sich von diesen Vorlagen und stellt die Persönlichkeiten in den Vordergrund, die die junge politische und religiöse umma al–islamiyya, die Gemeinschaft der Muslime, geprägt haben. Wie entsteht überhaupt ein Weltreich? Wer sich diese Frage allgemein schon einmal gestellt hat, erlebt bei Krämer die Etappen einer Reichsbildung mit. Spannend sind die Abschnitte der Geschichte, deren Auswirkungen bis in die Gegenwart hineinreichen. »Reform, Aufbruch, Umbruch« heißt das letzte Kapitel von Krämers Buch, das mit der europäischen Kolonialisierung weiter Teile der islamischen Welt anhebt und mit dem Wiedererwachen des Islam in der postkolonialen Staatenwelt schließt. Wohin wird sich der Islam in den kommenden Jahren entwickeln? Krämer gibt keine Prognose ab; ihre Absicht war es, bis zu diesem Punkt der islamischen Geschichte einen historischen Abriss zu geben, der Ursache und Wirkung an den vergangenen Scheidewegen der islamischen Welt skizziert.
Dank der inhaltlichen Pointierung, die Krämer vornimmt, wird der Leser dazu befähigt, die Konstellationen in der islamischen Welt heute zu begreifen. Wohin sich die islamische Welt entwickeln wird, das weiß nur Gott allein.
Alexander Görlach
Erschienen in: CIBEDO-Beiträge 1/2006