Kritik an “totalem Versagen” der Völkergemeinschaft in Aleppo

Berlin (KNA) Bundespräsident Joachim Gauck sieht bei der internationalen Gemeinschaft eine Mitverantwortung für das Leid der Menschen in Syrien. Die “Mechanismen der internationalen Ordnung” würden “kläglich versagen”, sagte er dem “Tagesspiegel” (Freitag). Diese Mechanismen müssten “jetzt und künftig greifen, wenn wir nicht zusehen wollen, wie immer wieder Zivilisten massakriert, verletzt, vertrieben werden”. In Aleppo seien “sämtliche Regeln des humanitären Völkerrechts mit Füßen getreten worden”, so Gauck weiter. Er forderte, dass alle, “die solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie in Syrien begangen haben, sich für ihre Taten verantworten müssen.” Ähnlich äußerte sich für ehemalige Nato-Generalsekretär Hans-Lothar Domröse. “Aleppo ist die Hölle”, sagte er der “Bild”-Zeitung. “Wir haben alle versagt.” Der Westen habe durch Nichthandeln indirekt dazu eingeladen, den Krieg fortzusetzen. Am Donnerstagabend hatte auch die Hilfsorganisation medico international von einem totalen Versagen der Staatengemeinschaft gesprochen. “Völkerrecht, Kriegsrecht und Menschenrecht wurden und werden strategisch und systematisch außer Kraft gesetzt”, erklärte Menschenrechtsreferent Thomas Seibert mit Blick auf eine systematische Missachtung der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten. Laut Seibert haben über 60 syrische Hilfsorganisationen aus Protest ihre Aktivitäten eingestellt. “Sie werden die finanziellen Mittel nicht weiter verausgaben, die ihnen die sogenannte internationale Gemeinschaft übereignet hat, um sich freizukaufen. Sie werden den Verwundeten, Verhungernden, Ausgebombten und Vertriebenen nicht weiter zur Seite stehen.” Laut der Leiterin der Mission des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Marianne Gasser, wurden bis zum späten Donnerstagabend trotz Verzögerungen durch Schüsse etwa 3.000 Zivilisten und einige Verletzte aus der Stadt herausgebracht. Unterdessen weitete das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor seine Unterstützung für Aleppo aus. Mit 280.000 Euro finanziere Misereor ein Krankenhaus, das von der Partnerorganisation “Jesuit Refugee Service” (JRS) aufgebaut wurde, teilte das Hilfswerk in Aachen mit. “Vor allem Krankenhäuser wurden von der syrischen und auch russischen Armee gezielt zerstört”, hieß es. “Entsprechend katastrophal ist die Gesundheitssituation der ausharrenden Menschen. Die dramatisch hohe Zahl an Verletzten kann kaum adäquat versorgt werden.”
Das Krankenhaus umfasst ein Einzugsgebiet, in dem 12.000 Menschen leben. Insgesamt fördert Misereor derzeit nach eigenen Angaben acht Projekte in Syrien mit einem Gesamtvolumen von einer Million Euro, davon vier Projekte in Aleppo mit insgesamt 856.000 Euro. Aleppo gehörte zu den am schwersten umkämpften Orten im Bürgerkrieg. Seit Beginn der Kämpfe vor mehr als vier Jahren war die Stadt zwischen der syrischen Armee und bewaffneten Aufständischen geteilt. Vor einem Monat hatte die Armee zusammen mit Verbündeten eine Großoffensive gestartet und fast alle Viertel im Osten Aleppos zurückerobert.
(KNA – qlmlq-89-00039)