Prägende Begegnungen: Dokumentation über den Islam

Von Dana Kim Hansen (KNA)

Berlin (KNA) Wie leben Muslime in Europa? Gibt es Unterschiede in den verschiedenen Ländern? Oder sind alle Muslime gleich? Diesen und anderen Fragen geht eine zweiteilige ARTEDokumentation am Dienstag ab 20.15 Uhr nach.

Die Kamera begleitet die Journalistin Nazan Gökdemir und den Islamkritiker und Publizisten Hamed Abdel-Samad auf ihrer Reise durch Deutschland, Belgien, Frankreich und Spanien. Prägend sind dabei die Begegnungen mit den Muslimen, die sie auch zufällig auf ihrem Weg treffen.

Im Fokus des Beitrags stehen die Gespräche und Diskussionen der beiden Autoren mit den Menschen. So besuchen Gökdemir und Abdel-Samad, der aufgrund von Morddrohungen immer von Personenschützern begleitet wird, einen türkischen Markt in Berlin. Dort bleiben sie am Stand einer Muslima hängen, die Kopftücher verkauft.

Die perfekte Gesprächspartnerin für die Debatte um die Verschleierung von Frauen, denn sie trägt selbst ein Kopftuch, und das schon seit der siebten Klasse. Es sei eine freie Entscheidung gewesen, niemand hätte sie dazu gezwungen, sagt sie. Auch ihre beiden Töchter tragen Kopftuch. Doch bei der Jüngeren passt das der Mutter gar nicht: “Sie ist noch nicht reif dafür, sie weiß gar nicht, warum sie das machen will.”

Im Gespräch mit dem syrisch-deutschen Politikwissenschaftler Bassam Tibi, der den Begriff des Euro-Islam geprägt hat, geht es um die Reformierbarkeit des Islam. Auch wenn Tibi, der sich als “Reform-Moslem” bezeichnet, dem nicht gläubigen Abdel-Samad nicht in allem zustimmen kann: Als “Islamhasser” würde er ihn nicht bezeichnen. “Wenn sie Kritik verbieten, gibt es keine Aufklärung”, betont Tibi. Aber nicht überall ist der deutsch-ägyptische Kritiker gerne gesehen. Eine muslimische SufiGemeinde hat ein Treffen laut den Filmemachern verweigert und auch beim Besuch der Großen Moschee in Granada darf Abdel-Samad nicht mit. Nach dem Besuch einer Moschee in Berlin kommt es sogar zu einer Auseinandersetzung.

In Belgien trifft das Duo einen Polizisten, der sie durch den Brüsseler Stadtteil Schaerbeek führt – ein Gebiet, das viele mit dem Zusatz “Terroristenversteck” versehen. Beim Besuch eines Streetworkers beobachtet ein junger Mann das Geschehen. Er kommt hinzu und will wissen, worum es geht. Er schildert die aussichtslose Lage, in der auch er steckt: keinen Job, Krankheit, keine Chance auf ein besseres Leben. “Aber ich sprenge mich deshalb nicht in die Luft.” Diese vielen unerfüllten Potenziale machen Abdel-Samad traurig, wie er bekundet: “Das ist der Schmerz der Zivilisation insgesamt.” Radikalisierung, Gewalt und Terrorismus seien nur Nebenprodukte; die unerfüllten Potenziale seien das eigentliche Problem der Zeit.

Mit Radikalisierung kennt sich der Franzose Jeremie Maradas-Nado besonders gut aus. Als er – nach eigener Aussage unschuldig – im Gefängnis saß, radikalisierte er sich. Die Stimme der Religion sei sein Hoffnungsschimmer gewesen, erklärt er. Einen der Pariser Attentäter kannte er sogar persönlich. Damals sei er vom Hass besessen gewesen. Mittlerweile kümmert sich Maradas-Nado um Jugendliche in den Pariser Vororten und trainiert sie. Er will sie unterstützen, damit sie nicht abrutschen. Denn er ist sich sicher: “Monster werden gemacht, wir werden nicht als Monster geboren.” Die Dokumentation lebt von diesen Gesprächen und Diskussionen, den Standpunkten ganz unterschiedlicher Menschen. Sie versucht, alle Meinungen zu Wort kommen zu lassen.

Am Ende bleibt die Frage, was der Islam eigentlich ist, offen. Sicher ist nur: Den einen Islam gibt es nicht.

(KNA – rkokp-89-00238)