Im Kampf zwischen Moderne und Tradition

Von Katrin Gänsler (KNA) Abuja (KNA) Schenkt man den politischen Vertretern im nordnigerianischen Bundesstaat Kano Glauben, so geht es um eine riesige Summe.

Knapp 16,9 Millionen Euro soll der Emir von Kano, Muhammadu Sanusi II., einer der wichtigsten religiösen Meinungsführer Nigerias, in nicht einmal drei Jahren veruntreut haben. So lautet die Anschuldigung des Landesparlaments, das die Vorfälle nun untersuchen lassen will. Damit steht jemand im Fokus, der bisher selbst als Korruptionskritiker galt und somit nie eine bequeme Person war.

Unter seinem bürgerlichen Namen Sanusi Lamido Sanusi prangerte er etwa als nigerianischer Zentralbankchef das Verschwinden von Ölgeldern in Millionenhöhe an. Zuvor hatte Sanusi, der das Amt von 2009 bis 2014 ausübte, für die Einführung des islamischen Bankwesens Werbung gemacht. Im christlich geprägten Süden hatte das einen Proteststurm und den Vorwurf, der Zentralbankchef wolle Nigeria endgültig islamisieren, ausgelöst. Nach seiner Aussage zu den mehr als 18 Millionen fehlenden Euro aus dem Ölgeschäft setzte der damalige Präsident Goodluck Jonathan Sanusi ab.

Nur vier Monate später wurde er nach dem Tod seines Großonkels als Muhammadu Sanusi II. neuer Emir von Kano. Seitdem ist der 55-Jährige der derzeit kritischste religiöse Meinungsführer, der auch vor Kritik an alten Eliten und muslimischen Traditionen nicht zurückschreckt. Vor einigen Monaten sagte er, die in Nordnigeria häufig praktizierte Polygamie solle jenen vorbehalten sein, die über die finanziellen Mittel dazu verfügten. Moscheen wollte er als Klassenräume nutzen.

Als der Gouverneur von Zamfara die aktuellen Meningitis-Fälle als Strafe Gottes bezeichnete, kritisierte der Emir die “ultrakonservative Auslegung des Islam” und sprach von einem kompletten Versagen der Sozialpolitik in Nordnigeria. Allerdings hat Muhammadu Sanusi II. eine Schwäche für schnelle und protzige Autos. Zum muslimischen Opferfest 2016 schenkte er sich einen neuen Rolls Royce Phantom in Weiß und postete Fotos im sozialen Netzwerk Instagram. Kostenpunkt für das Auto: mehr als 378.000 Euro. Das Modell in Schwarz soll er bereits in seiner Garage gehabt haben. Damals zählte das Land offiziell mehr als zwei Millionen Binnenflüchtlinge. Vor Journalisten hieß es Ende April allerdings, beide Autos seien Geschenke von Freunde gewesen.

Hussaini Abdu, Nordnigeria-Experte und Landesleiter der Hilfsorganisation Plan International, nennt den Konflikt einen Streit um die Person des Emirs und einen Zusammenprall mit der Gesellschaft. “Jemand, der sehr direkt und gebildet ist, wird Emir in einer sehr konservativen und verschwiegenen Institution.” Muhammadu Sanusi II. sei außerdem ein Technokrat mit einem hervorragenden Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft. “Nun soll er von Politikern beraten werden, die sehr viel weniger Wissen als er selber haben.”

Das mache die Situation so komplex. Beobachtern in Kano zufolge könnte genau das der Grund für die Anschuldigungen sein. Es heißt, Politiker und traditionelle Herrscher seien unzufrieden mit der Offenheit und Kritik des Emirs. Die aktuellen Vorwürfe seien der Versuch, ihn mundtot zu machen. Doch Sanusi denkt gar nicht daran, zu schweigen. Vergangenes Wochenende sprach er zwar zu einem im Norden weniger heiklen Thema, sagte jedoch, dass Nigeria ein geeintes Land bleiben müsse.

Eine mögliche Spaltung des Riesenstaates wird seit Jahrzehnten diskutiert. Im vergangenen Jahr hatte die Forderung vor allem im Südosten neuen Auftrieb bekommen. In Kano gehen die Spekulationen indes soweit, dass sogar von einer möglichen Absetzung die Rede ist. Das wäre nicht das erste Mal. Ausgerechnet Muhammadu Sanusi I., Großvater des amtierenden Emirs, wurde 1963 wegen politischer Streitigkeiten abgesetzt und musste sich in den Bundesstaat Bauchi zurückziehen.

(KNA – rkplt-89-00011)