“Keinen Grund, als Kirche die AfD besonders zu hofieren” Von Leticia Witte (KNA) Bonn/Berlin.
Die CDU ist nach der Bundestagswahl am Sonntag stärkste Kraft, die AfD kommt ersten Hochrechnungen zufolge auf etwa 13 Prozent und zieht damit in den Bundestag ein. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und langjährige CDU Landtagsabgeordnete in Nordrhein-Westfalen, Thomas Sternberg, spricht im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn über einen aus seiner Sicht “bitteren Abend”, die anstehenden Aufgaben der Kirche und starke Oppositionen in der Demokratie.
KNA: Herr Sternberg, was sagen Sie zu dem Wahlergebnis?
Sternberg: Das ist ein bitterer Abend auch für uns als ZdK. Wir haben am 5. Mai dieses Jahres in einem Aufruf “Farbe bekennen für die Demokratie” vor Parteien gewarnt, die sich ganz klar gegen Islam, gegen Christentum und gegen Ausländer äußern, die so auftreten, wie es die AfD tut. Wir haben gehofft, dass sie nicht auf eine so hohe Stimmenzahl kommt.
KNA: Aber?
Sternberg: Man muss bedenken, wir sind in einem europäischen Gleichschritt: In fast allen Ländern gibt es solch rechtsradikale Parteien. Es bleibt festzustellen: 87 Prozent der Deutschen haben die AfD nicht gewählt.
KNA: Trotzdem: Was heißt das Ergebnis von etwa 13 Prozent für die AfD für die Demokratie in Deutschland?
Sternberg: Wenn ich sehe, dass unter den AfD-Wählern wahrscheinlich eine Menge Enttäuschter sind, muss man auch sagen, für eine Demokratie ist es nicht gut, wenn über einen so langen Zeitraum keine schlagkräftige und groß erkennbare Opposition tätig ist. Es stimmt gleichwohl bedenklich, dass eigentlich alle in diesem Land, die im demokratischen Spektrum tätig sind, Politiker, auch Medien, es nicht verhindern konnten, dass die Partei ein so hohes Ergebnis bekam.
KNA: Was ist zu tun? Sternberg: Die Aufgaben, die wir jetzt haben, bestehen darin, dass wir diese Partei stellen. Dass wir genau darauf achten, was sie leistet. Dass wir ein paar Themen dringend bearbeiten, von denen ich fürchte, dass sie durch eine starke AfD beschädigt werden.
KNA: Was sind das für Themen?
Sternberg: Der Islamdialog. Es scheint mir sehr bedenklich, dass eine Partei 13 Prozent bekommt, die den Islam noch nicht einmal für eine Religion hält, die ihn pauschal als politische Bewegung abtut, die die islamischen Lehrstühle abschaffen will, die den islamischen Religionsunterricht nicht haben will. Also genau das, was wir dringend fordern, um den Islam als eine Religion abzugrenzen von dem Missbrauch des Islam in Islamismus und Salafismus. Genau diese Rezepte werden abgelehnt.
KNA: An was denken Sie noch?
Sternberg: Das zweite große Thema ist Europa. Nationalistische Positionen gehen in einer vernetzten Welt nicht mehr. Wir müssen in Europa dringend gemeinsam auftreten und arbeiten. Die eigene Nation als erstes zu betrachten – das ist aus der Zeit gefallen. Und nicht zuletzt die ganz große Frage internationaler Gerechtigkeit und die soziale Frage. Unsere Eine-Welt-Themen werden wir umso intensiver vertreten müssen. Wir müssen mithelfen, dass in Ländern, in denen unsere Waren hergestellt und verkauft werden, Arbeits- und Lebensbedingungen entstehen, die den Menschen dort eine Perspektive in ihrer Heimat ermöglichen.
KNA: Wie sollte sich die Kirche aus Ihrer Sicht nun zu einer AfD als Fraktion im Bundestag verhalten?
Sternberg: Es gibt keinen Grund, als Kirche die AfD besonders zu hofieren. Die Kirche hat noch nie eine Partei hofiert, das tut man auch nicht. Wichtig ist, dass wir als Kirche wahrnehmen, was die Menschen dazu getrieben hat, in so hoher Zahl eine solche Partei zu wählen. Damit müssen wir uns noch intensiver auseinandersetzen. Das werden wir auch mit aller Kraft tun. Ein solches Wahlergebnis heißt nicht automatisch, dass man Menschen hochschätzen sollte, die sich mit ihren Äußerungen aus dem demokratischen Konsens entfernen. Wir haben es mit einer Partei zu tun, in der zum Kirchenaustritt aufgerufen wurde und die Ausdrücke wie christliches Abendland und Christlichkeit missbräuchlich verwendet.
KNA: Die beiden Volksparteien CDU/CSU und SPD haben historisch schlechte Ergebnisse erzielt. Was bedeutet das?
Sternberg: Das ist sehr bitter. Das hat damit zu tun, dass große Koalitionen dazu führen, dass sich die Enttäuschung und die Gegenmeinungen anders Bahn brechen. Ich glaube, das ist ein Zeichen, dass eine starke Demokratie eine starke Opposition und eine starke Regierung braucht.
(KNA – rktmo-89-00052)