Starker Akzent in der Neutralitätsdebatte Von Gregor Krumpholz (KNA) Berlin (KNA)
Der Jesuitenorden ist für unkonventionelle Maßnahmen bekannt. Nun bestätigt er diesen Ruf in seinem Berliner Canisius-Kolleg aufs Neue. Mit der Einstellung einer Kopftuch tragenden muslimischen Lehrerin setzt das Gymnasium einen starken Akzent in der Debatte um das Berliner Neutralitätsgesetz und darüber hinaus. Im bundesweiten Vergleich verbietet die Berliner Regelung bestimmten staatlichen Bediensteten besonders strikt religiös bedeutsame Kleidungsstücke oder Schmuckstücke. Es betrifft auch die Lehrkräfte an allgemeinbildenden staatlichen Schulen. Damit in Konflikt geriet in diesem Jahr eine evangelische Lehrerin, die ein christlich deutbares Fischsymbol am Hals trug. Vor allem aber muslimische Pädagoginnen mit Kopftuch sind betroffen. Einige versuchen, eine Einstellung in den staatlichen Schuldienst in Berlin juristisch durchzusetzen.
Mehrere Verfahren waren oder sind vor dem Arbeitsgericht anhängig. Die Berliner rot-rot-grüne Koalition ist in der Frage gespalten. Die SPD verteidigt das 2005 verabschiedete Neutralitätsgesetz vehement unter Hinweis auf die besonderen Anforderungen an die staatliche Neutralität in einer multireligiösen Metropole. Schützenhilfe erhalten die Sozialdemokraten von der CDU-Opposition. Linkspartei und Grüne treten dagegen für eine Reform des Gesetzes ein. Sie verweisen auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die der Religionsfreiheit auch von Lehrkräften einen hohen Rang einräumen. In dieser Debatte setzt das Canisius-Kolleg nun ein Ausrufezeichen. Rektor Tobias Zimmermann versteht die Einstellung der Muslimin als “Dienst, den wir als Christen der Gesellschaft tun”.
Zugleich räumt er in einem Interview ein: “Wir wissen auch nicht, wo es hingeht. Aber wir dürfen ruhig etwas mutiger sein und Dinge ausprobieren, denen andere vielleicht folgen.” Der Pädagogin macht es leichter, dass sie in einem anderen Umfeld unterrichtet als an einer staatlichen Bildungseinrichtung. Wie alle Schulen in kirchlicher Trägerschaft ist das Canisius-Kolleg grundsätzlich religionsfreundlich eingestellt. “Wir brauchen einen offenen Diskurs mit dem Islam über den Umgang mit Symbolen”, wirbt Zimmermann. Die Frage der Integration von Zuwanderern am Kopftuch festzumachen, hält er für “albern”. Die Entscheidung für die muslimische Lehrerin fiel nicht zuerst mit Blick auf die Außenwirkung, wie der Jesuitenpater betont.
Die gebürtige Berlinerin habe im Bewerbungsverfahren am meisten überzeugt. “Wenn mir jemand im Bewerbungsgespräch gegenübersitzt, selbstbewusst und frei, absolut kein unterdrücktes Wesen, und mir glaubhaft versichert, sich vom Kopftuch nicht unterdrückt zu fühlen, dann will ich das glauben”, so Zimmermann. Bedingungslos ist seine Toleranz mit Blick auf religiös motiviertes Verhalten aber nicht. Eine Lehrerin mit Burka, die nur einen Sehschlitz offen lässt, würde er “wohl nicht einstellen”. Auch nicht, wenn sie aus Glaubensgründen einen Handschlag verweigert. “Damit kann ich mir keinen gelingenden Bildungsprozess vorstellen”, markiert der Rektor die Grenzen. Neu ist Kritik seitens der Kirchen am Neutralitätsgesetz nicht. Nun hat das Canisius-Kolleg Worten auch die Tat folgen lassen. Vom Gelingen wird abhängen, ob es auch an anderen kirchlichen Bildungseinrichtungen Schule macht. Gelegenheiten gibt es viele: In Berlin sind die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und das Erzbistum Berlin Träger von rund 35 Schulen.
(KNA – rlmlm-89-00117)