Dresden (KNA) Der Berliner Rabbiner und Hochschullehrer Walter Homolka sieht im aufgeklärten Judentum Denkanstöße für eine Modernisierung des Islam.
“Vielleicht können wir Juden dem Islam dabei behilflich sein, Erfahrungen auszutauschen, wie man der Tradition gerecht wird und dennoch mit den Erfordernissen der Moderne zurechtkommt”, sagte der Rektor des Potsdamer Rabbinerseminars “Abraham Geiger Kolleg” am Montagabend in der Dresdner Frauenkirche laut Redemanuskript. So sei etwa das Konzept “Landesrecht bricht Religionsrecht” wesentlich für das Verständnis des jüdischen Rechts geworden. “Eine solche Relativierungsmöglichkeit der religiösen Anforderungen gegenüber den gesetzlichen Rahmenbedingungen des Staates sollte sich auch in der Scharia denken lassen”, sagte Homolka.
Die Suche des Judentums nach Emanzipation in der deutschen Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert könne “paradigmatisch sein für die Frage nach einer pluralistischen Gesellschaft und ihren Werten”. Der liberale Rabbiner erklärte: “Man kann sagen, dass wir Juden in Europa in erheblichem Maße von der Relativierung religiöser Wahrheit profitiert haben.” Der heute offene Dialog zwischen Juden- und Christentum sei das Ergebnis eines langen Prozesses: “Letztlich hat erst das Trauma des Holocaust den nötigen Bruch der Kirchen mit ihrem Traum von der absoluten Wahrheit herbeigeführt.” Aus der “Bankrotterklärung christlicher Ethik” im Dritten Reich und dem “Versagen” der Kirchen vor der Aufgabe, die Juden wirksam vor der Ermordung zu schützen, habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg schrittweise ein Ansatz für ein neues Miteinander von Christen und Juden ergeben.
Der Lehrstuhlinhaber für Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit an der Universität Potsdam hob hervor: “Ein ‘jüdisch-christliches Abendland’ im Sinn einer exklusiven Wertegemeinschaft mit gemeinsamen jüdisch-christlichen Wurzeln hat es nie gegeben.” Auf biblischem Fundament hätten sich in den drei Schriftreligionen ganz unterschiedliche kulturelle Konventionen entwickelt und verkörperten unterschiedliche Ausdrucksformen der gleichen zivilisatorischen Werte. Dabei sei das Judentum dem Islam oft genauso nah wie dem Christentum.
Es sei die Aufgabe von Kulturen und Religionen, der Beliebigkeit der Postmoderne ein gemeinsames Wertesystem entgegenzusetzen, so Homolka. Durch die Errungenschaften der Aufklärung seien die Religionen zur Entwicklung eines neuen Miteinanders fähig geworden, das auch beispielhaft für moderne heterogene, religiös pluralistische Gesellschaften sein könne. “Willkommenskultur bedeutet, dass wir die Spannung pluralen Miteinanders aushalten und ertragen lernen, ja willkommen heißen.”
(KNA – rlkmn-89-00169)