Expertin warnt vor einem “politischen Islam” in Deutschland Von Norbert Demuth (KNA)
Kopftuch tragende Lehrerinnen, rituelles Schlachten, Befreiung vom gemeinsamen Schwimmunterricht von Jungen und Mädchen – die Liste der Gerichtsurteile um die Rechte von Muslimen in Deutschland wird immer länger. Die klagenden Muslime fordern insbesondere das Grundrecht der Religionsfreiheit für sich ein, wenn sie Ausnahmen von allgemein geltenden Vorschriften verlangen. In Mainz befasste sich am Freitag eine hochkarätig besetzte Tagung unter dem Titel “Islam und Recht” mit der Frage, wie weit Deutschland rechtlichen Forderungen aus dem Islam nachkommen muss.
Die Bonner Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher forderte dabei eine schärfere öffentliche Auseinandersetzung mit einem fundamentalistisch ausgerichteten “politischen Islam” in Deutschland. Wenn dessen Vertreter hierzulande unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit “ein Scharia-Recht durchsetzen” wollten, müsse dies öffentlich schärfer zurückgewiesen werden, sagte Schirrmacher in Mainz. Muslimische “Friedensrichter” oder informelle Schiedsgerichte innerhalb muslimischer Wohnviertel dürfe es weder in Berlin-Kreuzberg noch im Ruhrgebiet geben, betonte sie. Hellhörig müsse man auch werden, “wenn liberale oder progressive Stimmen aus der muslimischen Gemeinschaft verfolgt oder unter Druck gesetzt” würden.
Das gelte auch, “wenn Menschen, die nach Deutschland kommen und vom Islam zum Christentum übertreten wollen, bedroht werden”. Solche Vorfälle würden “bislang zu wenig thematisiert in der Öffentlichkeit”, sagte Schirrmacher bei der Tagung, die im rheinland-pfälzischen Landtag stattfand. Bundesverfassungsrichterin Christine Langenfeld sagte, sie sehe in den Fällen, die bisher in prominenter Weise die Gerichte beschäftigt hätten – etwa das Tragen eines Kopftuchs, die Unterrichtsbefreiung oder das Schächten – eher “Probleme des Alltags” als den Versuch islamischer Kräfte, eine politische Agenda durchzusetzen. Langenfeld betonte, Religionsfreiheit sei allerdings “kein Obergrundrecht”, das per se anderen Verfassungsgütern vorgehe. Mit Blick auf die Schulpflicht sagte die Verfassungsrichterin, sie halte es für “problematisch”, wenn im Namen der Religionsfreiheit immer öfter Ausnahmen von allgemeinen Gesetzen zugelassen würden.
Langenfeld wies zugleich darauf hin, dass sich die Gesellschaft in Deutschland verändert habe und religiös vielfältiger geworden sei. Es gebe einen “Verlust volkskirchlicher Substanz” und eine “Abwesenheit von Religion bei einem Großteil der Bevölkerung”. Zugleich werde man mit einer Einwanderung einer großen Zahl von Bürgern aus muslimisch geprägten Ländern konfrontiert. Islamwissenschaftlerin Schirrmacher wies jedoch darauf hin, dass Umfragen zufolge fast 50 Prozent der Muslime in Deutschland die Ansicht verträten, es bestehe ein Konflikt zwischen islamischem und deutschem Recht. Wenn so viele Menschen hier einen Widerspruch sähen, müsse das nachdenklich machen. Zudem bestehe derzeit die Gefahr, dass Fundamentalisten “gutmeinende Muslime in die Arme von Radikalen treiben”, sagte die Professorin der Islamwissenschaft an der Universität Bonn. Schirrmacher fügte hinzu: “Wir müssen uns bewusst sein, dass die islamische Welt sich in einer tiefgreifenden Zerreißprobe, in einer elementaren Krise befindet.”
Das islamische Scharia-Recht, auf dem das Strafrecht im Iran und in Saudi-Arabien sowie das Zivilrecht nahezu aller arabischen Länder beruhe, sei letztlich nicht “kompatibel” mit der deutschen Rechtsordnung, so Schirrmacher. Es benachteilige Frauen “eklatant in vielen Rechtsbereichen”. Karl Kreuzer, emeritierter Rechtsprofessor der Universität Würzburg, kam in einer ausführlichen juristischen Analyse zu dem Schluss, die Scharia habe “keine Geltung unter dem Grundgesetz”. Solche fremdstaatlichen Vorschriften könnten letztlich nur mit Billigung des deutschen Gesetzgebers eingeführt und angewendet werden. Dies sei aber nicht zu erwarten. Kreuzer: “Von der von manchen Leuten geäußerten Befürchtung einer Islamisierung der deutschen Rechtsordnung kann also nicht die Rede sein.”
(KNA – sknkm-89-00158)