Zuhause bei den Radikalen vom syrischen Regisseur Talal Derki . Von Marius Nobach (KNA).
München (KNA) Die Dokumentation “Of Fathers and Sons” des syrischen Regisseurs Talal Derki ist am Mittwochabend beim Filmfest München mit dem Fritz-Gerlich-Preis 2018 ausgezeichnet worden. In dem Film porträtiert der in Berlin lebende Regisseur eine radikal islamische Familie in seiner syrischen Heimat. Wie Derki selbst im Film sagt, ging es ihm darum, seine eigenen Ängste zu besiegen, indem er sich dem Albtraum des Fundamentalismus in seinem Heimatland stellte.
Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und wurde von der katholischen Filmproduktionsfirma Tellux gestiftet. Überreicht vom Münchner Kardinal Reinhard Marx, erinnert er an den katholischen Journalisten Fritz Gerlich (1883-1934). Der wollte Anfang der 1930er Jahre mit seiner Wochenzeitung “Der gerade Weg” die Machtübernahme der Nationalsozialisten verhindern und bezahlte dafür mit seinem Leben. In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 wurde er im Konzentrationslager Dachau erschossen.
Jedes Jahr rund um seinen Todestag wird mit dem nach ihm benannten Preis ein Film aus dem Programm des Filmfests München ausgezeichnet, der sich für mehr Menschlichkeit und gegen Diktatur, Intoleranz und Verfolgung ausspricht. Dieses Jahr ehrt die Jury vor allem einen mutigen Filmemacher.
Für die ausgezeichnete Doku gab sich Derki als Kriegsreporter mit Sympathien für islamistische Ansichten aus, um das Vertrauen des Vaters Abu Osama zu gewinnen. Tatsächlich erhielt er so die Erlaubnis, am Leben des Mannes und seiner acht Söhne teilzuhaben. Die Szenen, die der Regisseur über den Zeitraum von zwei Jahren eingefangen hat, zeigen ungefilterten Fundamentalismus: Wenn Abu Osama seine Söhne vorstellt, weist er stolz darauf hin, dass er sie nach den Drahtziehern islamistischer Attentate und nach den Anführern von Al-Kaida und den Taliban benannt hat.
Nach dem Willen des Vaters sollen sie so früh wie möglich den Kampf gegen die “Ungläubigen” aufnehmen: zuerst gegen die syrische Machtelite um Präsident Baschar al-Assad, dann gegen andere Parteien im Bürgerkrieg und anschließend in einem “Dritten Weltkrieg” gegen alle nicht kampfbereiten Muslime, den Westen, Christen und Juden.
Talal Derki nimmt als weitgehend stiller Beobachter am Alltag der Familie teil. Abu Osama indoktriniert seine Kinder von Geburt an. Immer wieder zeichnet die Kamera erhellende, oft erschreckende Momente auf: Schon die Kleinsten werden vom Vater unablässig gegängelt, Koran-Zitate zu wiederholen. Wenn sie nicht brav sind, droht er ihnen scherzhaft Folter an.
Die abenteuerlichen Geschichten von seinen Kämpfen übersetzen seine Söhne auf ihre Weise: Ein Vogel, der sich ins Haus verirrt hat, wird gefangen und begeistert geköpft, Schulkinder mit Steinen beworfen. Die Jungs selbst müssen nicht mehr zur Schule gehen, da der Vater einzig seine Form der Erziehung für wichtig hält. Wozu auch gehört, dass er sie regelmäßig mit an die Schauplätze des seit 2011 andauernden Bürgerkriegs führt. Dort spielen die Kinder dann mit kaputten Panzern und zurückgelassenen Sprengköpfen, während der Vater mit seinen Glaubensgenossen Felder nach Minen durchsucht.
Bei einer dieser Unternehmungen kommt es zu einer Explosion: Abu Osama wird schwer verletzt und verliert einen Fuß. Während er von da an kaum noch das Haus verlässt, tritt die islamistische Ausbildung seiner ältesten Söhne Osama und Ayman in die nächste Stufe. Beide werden in einem sogenannten Scharia-Camp für den Einsatz im Krieg gedrillt, lernen mit Schusswaffen umzugehen und stillzustehen, wenn ihnen die Ausbilder mit echter Munition vor die Füße feuern. Auch hier ist Talal Derki dabei und macht den perfiden Prozess nachvollziehbar, der den Kindern jede Empathie raubt und sie zu seelenlosen Kampfmaschinen formt.
Ein kleines Zeichen der Hoffnung findet Derki nur darin, dass nicht alle Söhne blind in ihr Verderben rennen. Aber: Er kann wieder nach Deutschland, die Kinder bleiben zurück in dem System der Gewalt und Erziehung zum Hass.
(KNA – skrko-89-00156)