Kuala Lumpur / Michael Lenz (KNA) “Ein neues Malaysia, eine neue Hoffnung” – so haben die Kirchen ihre gemeinsame Erklärung zum Nationalfeiertag “Merdeka” (Freiheit) am Samstag überschrieben. Den Kirchen schwebt ein Malaysia vor, wie es sich die Gründerväter ausmalten: “eine Nation der Harmonie, des Friedens, der Chance, der Gleichheit und des Wohlstands”. Manche dieser hehren Prinzipien waren über die Jahrzehnte verloren gegangen.
Der diesjährige “Merdeka” wird in die Geschichte als erster Nationalfeiertag eingehen, der nicht von der malaiisch-islamischen Partei UMNO gestaltet wird. Die seit der Unabhängigkeit von 1957 regierende UMNO wurde Ende Mai abgewählt. Zur Gestaltung des “neuen Malaysia” steht die Reformregierung der Koalition “Pakatan Harapan” von Premierminister Mahathir Mohamad auch vor der schwierigen Aufgabe, die Politisierung des Islam in dem mehrheitlich muslimischen Land zurück drehen.
Ironischerweise hatten gerade die heute als Hoffnungsträger und Reformer gefeierten Politiker, Premierminister Mahathir Mohamad und PKR-Parteichef Anwar Ibrahim, in ihrer ersten gemeinsamen Regierungszeit in den 80er und 90er Jahren die Grundlagen zur Politisierung des Islam gelegt. Die nachfolgenden UMNO-Regierungen, vor allem die des nun abgewählten Premiers Najib Razak, bleuten den muslimischen Malaien jahrzehntelang ein, die chinesische Minderheit und die Christen hätten sich gegen sie und den Islam verschworen; nur die UMNO könne beide retten.
Für den Rechtsanwalt Jahaberdeen Mohamad Yunoos sitzen die Muslime als Folge dieser jahrzehntelangen “Gehirnwäsche” durch “Politiker und die religiöse Elite” in einem “intellektuellen Gefängnis” fest. “Die feudale Mentalität und blinde Loyalität zu politischen und religiösen Führern muss weg”, forderte Yunos, einer der Vordenker der moderaten Muslime, nun bei einem internationalen Juristenkongress in Malaysia.
Mahathir Mohamad hat in den ersten 100 Tagen seiner Regierung bereits einiges auf den Weg gebracht: Die Pressefreiheit gilt wieder etwas, und gegen seinen Vorgänger wurde wegen der verschwundenen Milliarden aus dem staatlichen Investitionsfonds 1MDB Anklage wegen Korruption und Veruntreuung erhoben.
Im großen Feld der Religion ist bisher allerdings wenig geschehen. Für den katholischen Juristen Andrew Khoo sind die Streichung der staatlichen Zuschüsse für die ultrakonservative islamische Organisation Perkasa sowie erste Ideen zur Reform der Islambehörde Jakim aber ein guter Anfang. Perkasa war die treibende Kraft hinter dem Verbot des Wortes “Allah” für Christen; Khoo hatte die Kirche im “Allah-Fall” vertreten.
Der Politikwissenschaftler Nawab Osman versetzt Hoffnungen auf eine rasche religiöse Entspannung einen Dämpfer. “Angesichts ihrer schwachen Basis unter den malaiischen Wählern wird jeder Versuch zur Entpolitisierung des Islam eine starke negative Reaktion der Opposition aus Parteien mit einer weitgehend muslimischen Basis provozieren”, warnt der Experte für muslimische Gesellschaften in Asien an der Internationalen Hochschule RSIS in Singapur. Nur 30 Prozent der muslimischmalaiischen Wähler hätten für Pakatan Harapan gestimmt, so der Wissenschaftler.
Wie stark die Kräfte des politisierten Islam sind, zeigen aktuelle Debatten um Kinderehen und Homosexualität. Pakatan Harapan hatte im Wahlkampf versprochen, der Verheiratung Minderjähriger einen Riegel vorzuschieben. Für die Opposition ein willkommener Anlass, den Premier und seine Stellvertreterin, Frauenministerin Wan Azizah Wan Ismail, als un-islamisch vorzuführen. Statt sich über Kinderehen aufzuregen, sollte die Regierung gegen die – in Malaysia verbotene – Homosexualität vorgehen, fordert die islamische Partei PAS.
Zum Lackmustest für das Verhältnis von Politik und Religion könnte der Fall des im Februar 2017 entführten Pastors Raymond Koh werden. Vor einer Woche wurden die von der Vorgängerregierung unter einem Vorwand gestoppten Ermittlungen wieder aufgenommen. Der Verdacht stehe im Raum, hinter Kohs Verschwinden stecke “eine unheilige Verbindung von Polizei und Islambehörden”, so
Rechtsanwalt Khoo. “Sollte sich das bewahrheiten, wäre das Dynamit.”
(KNA – sksmt-89-00041)