Vom Fußballer zum Islam-Gelehrten – Belgiens jüngster Imam. Von Franziska Broich (KNA).
Gent (KNA) Einst träumte Khalid Benhaddou (30) von einer Karriere als Profifußballer. Als er noch als Junge zum Training nach England eingeladen wurde, sagte sein Vater, er solle lieber in die Moschee gehen. Der Traum vom Fußballstar zerplatzte, doch ein neuer entstand. Benhaddou, dessen Eltern in den 60er Jahren aus Marokko einwanderten, folgte dem Rat des Vaters. Schon mit zwölf Jahren konnte er den gesamten Koran auswendig.
Heute ist Benhaddou 30 Jahre alt und der jüngste Imam in Belgien. In seinem gutgeschnittenen blauen Anzug, Krawatte und adrettem Seitenscheitel könnte er Geschäftsmann sein. Doch nicht nur sein Alter unterscheidet ihn von vielen anderen belgischen Imamen, auch sein Weg dorthin. “Ich habe meine Imam-Ausbildung in Belgien gemacht, nicht in einem islamischen Land”, erzählt er. Er ist einer von nur fünf Imamen in Flandern, die auf Niederländisch predigen. “Ich finde es wichtig, auf Niederländisch wie Arabisch zu predigen. Nur so können mich auch die jungen Muslime verstehen, die kein Arabisch sprechen.”
Benhaddou wuchs in Gent auf. Nachdem er den Koran auswendig gelernt hatte, begann er mit dem Islam-Studium am islamischen Zentrum in Brüssel. “Ich war fasziniert von der Religion, aber gleichzeitig habe ich auch vieles hinterfragt”, erinnert er sich. Seine Lehrer habe er damit manchmal zur Verzweiflung getrieben. Letztlich habe es ihm aber geholfen, zu seiner Interpretation des Islam zu kommen. Für ihn bietet dieser sehr wohl Freiheit, Chance zum Dialog und wichtige Werte für das Zusammenleben. Schon mit 18 war er der jüngste Imam des Landes und begann in Gent zu predigen.
Mit seinen Ansichten hatte es Benhaddou nicht immer einfach. “Mir war klar, dass nicht alle Muslime meine Interpretation unseres Glaubens gut finden”, sagt er. Eine Reform des Islam sei schon immer schwierig gewesen. “Traditionelle Imame sehen in mir eine Bedrohung, weil sich ihre gewohnte Umgebung verändern könnte.”
Seit den Anschlägen in Brüssel 2016 haben Muslime in Belgien verstärkt mit Vorurteilen zu kämpfen. Benhaddou meint: “Dass viele muslimische Frauen in Flandern einen Hijab tragen, ist nicht immer nur Ausdruck ihrer Religion, sondern oft auch eine Gegenreaktion auf die Vorurteile gegen Muslime in der Gesellschaft.”
Der Imam arbeitet auch für das Bildungsministerium. Bildung, so sagt er, sei ein Schlüsselelement zum Zusammenleben der Religionen in Europa. Für das Ministerium besucht er täglich Schulen und gibt den Lehrern eine Einführung in die Grundregeln und -prinzipien des Islam. Zudem sucht er nach Lösungen für Konflikte an Schulen, die sich an Religion entzünden.
Was ist zum Beispiel, wenn Schüler im Fastenmonat Ramadan nicht an Schulausflügen teilnehmen wollen? Wie können Schulen dafür sorgen, dass muslimische Schüler sich “halal” ernähren können? Über solche Fragen hat er im August ein Buch veröffentlicht. Der Titel: “Halal oder nicht?”. “Viele Lehrer kennen die Grundlagen des Islam nicht – und haben Schwierigkeiten, zwischen einem gemäßigten Islam und Islamismus zu unterscheiden.”
Auch um Radikalisierung vorzubeugen, sei Bildung zentral, betont Benhaddou. Viele junge Menschen wüssten gar nicht, was die europäischen Werte seien. Wenn es um die Verteidigung der Meinungsfreiheit, des Sozialstaats oder des Friedens gehe, könnten sie oft nichts damit anfangen. Die Schulen müssten dies unterrichten.
Von einem “Islam für Europa”, wie er derzeit in Frankreich immer wieder gefordert wird, hält Benhaddou freilich nichts. Er wünscht sich einen “rationalen” Islam. Seiner Meinung nach verschwimmen regionale Grenzen mit der Globalisierung immer mehr. Ein europäischer Islam könne zu Gegenreaktionen in anderen Teilen der Welt führen. “Ein rationaler Islam zeigt eine Balance zwischen der Spiritualität der Muslimen und der Vernunft der Europäer auf”, ist er überzeugt. Der “Mehrwert des Islam” für Europa sei “die Spiritualität”.
(KNA – slkks-89-00153)