In Burkina Faso leben mehr als 135.000 Binnenflüchtlinge. Auf der Flucht vor Terroristen und ethnischer Gewalt. Von Katrin Gänsler (KNA).
Barsalogho/Kaya (KNA) Aybata Diallo hat es mit viel Glück geschafft. Vor knapp vier Monaten flüchtete die 70-Jährige mit fünf Kindern aus ihrem Heimatdorf bei Yirgou, wo es in den ersten Januartagen zu einem schweren Massaker kam. Erst wurden der Dorfchef und fünf seiner Angehörigen ermordet. Anschließend starben im Gegenzug offiziellen Angaben zufolge 49 Menschen der Ethnie Peulh, wie die Fulani im frankophonen Afrika heißen. Das Massaker gilt als Racheakt. Es soll Gerüchte gegeben haben, dass Peulh möglicherweise mit für die Ermordung des Dorfchefs verantwortlich waren. Seit diesem Angriff, dem weitere gefolgt sind, hat eine Flüchtlingswelle in Burkina Faso mit seinen knapp 20 Millionen Einwohnern eingesetzt.
Nach Informationen des Amtes für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (OCHA) haben bisher knapp 136.000 Menschen ihre Dörfer verlassen. Die USamerikanische Nichtregierungsorganisation Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED), die Daten zu Konflikten weltweit erhebt, hat zwischen November 2018 und März 2019 insgesamt 499 Todesopfer gezählt. Dazu gehörten auch der Mann von Aybata Diallo sowie zwei ihrer Kinder. “Ich habe große Angst, zurück in mein Heimatdorf zu gehen”, sagt sie. Sicherheit gebe es aktuell nur im Camp am Rande des Städtchens Barsalogho. Es liegt gut drei Autostunden nördlich der Hauptstadt Ouagadougou.
Aktuell leben hier 1.381 Menschen, alle sind Peulh. In anderen Unterkünften leben Flüchtlinge anderer ethnischer Gruppen, die genauso von der Krise betroffen sind. 95 Prozent sind jedoch von Dörfern aufgenommen worden. Besonders betroffen sind Kinder, von denen 119.000 keinen Zugang mehr zu Schulen haben. 954 Schulen bleiben aus Sicherheitsgründen weiterhin geschlossen. Und das ausgerechnet in einem Land, in dem nach Angaben der Unesco im Jahr 2014 knapp 6,2 Millionen über 14-Jährige nicht schreiben und lesen konnten. Nach OCHA-Informationen haben außerdem rund 250.000 Menschen keinen Zugang mehr zu medizinischer Versorgung.
“Im Camp ist das immerhin möglich”, sagt Adam Dicko (55). Er ist Mitglied des Komitees der Flüchtlinge, das Informationen weiterreicht und bei Konflikten vermittelt. “Einigermaßen läuft es hier”, sagt er knapp. Sorge bereite den Bewohnern jedoch die ungewisse Zukunft.
Burkina Faso galt lange als stabiles Land im Sahel. Seit dem Machtwechsel 2014 und 2015 haben sich jedoch mehrere Terrorgruppen ausgebreitet. Dazu gehört die malische “Unterstützergruppe des Islams und der Muslime” (JNIM), die regelmäßig Anschläge verübt. Es gilt als möglich, dass sie bewusst den Konflikt zwischen verschiedenen Ethnien schürt. In Burkina Faso, das in religiösen Dingen stets als sehr tolerant galt, ist das eine neue Entwicklung. “Attacken wie diese haben wir bisher nie erlebt”, ist auch Aybata Diallo ratlos.
Die Situation nutzen außerdem bewaffnete Banden aus. Nicht in Griff zu bekommen ist zudem die Selbstverteidigungsmiliz Koglweogo, übersetzt “Wächter des Waldes”. Bürgermeister und Gouverneure loben zwar ihren Kampf gegen Viehdiebe und Banditen. Im Camp von Barsalogho betonen jedoch alle Flüchtlinge: Sie sind für das Massaker von Yirgou und den Nachbardörfern verantwortlich. Tatsächlich operieren die Koglweogo in einer Grauzone.
“Die Krise, die zur aktuellen Situation geführt hat, ist schwerwiegend. Die Verantwortlichen müssen dauerhafte Lösungen finden”, sagt auch Noel Zigani, der für die Organisation Oxfam arbeitet. Gleichzeitig sei die Herausforderung an die internationale Gemeinschaft enorm. Anfangs habe die Krise kaum Aufmerksamkeit bekommen. Dabei ist gerade im Sahel die Versorgung schwierig. Bisher sind nur 20 Prozent der benötigten 100,3 Millionen US-Dollar auch finanziert.
Doch allein die Versorgung mit Wasser kostet in Barsalogho täglich mindestens rund 225 Euro. Vier Bohrungen für Brunnen schlugen fehl, weshalb es aus einem 25 Kilometer entfernten Ort mit einem LKW angeliefert werden muss. Auch gibt es kein Land, das den Binnenflüchtlingen zum Anbau von Getreide und Gemüse zur Verfügung gestellt werden könnte. Steigt ihre Zahl weiter an, wird das die Lage zuspitzen. “Auf die Region übt das einen enormen Druck aus”, so Zigani.
(KNA - tkomo-89-00055) Foto: Unsplash