Weiße Schwestern im Kampf gegen die Not der Schwarzen. Von Alexander Brüggemann (KNA).
Algier (KNA) 1866 grassierte in Algier die Cholera. Mehr als 50.000 Menschen starben; viele Kinder wurden zu Waisen. In dieser Lage suchte der französische Erzbischof der Hafenstadt, Charles Martial Allemand Lavigerie, nach einer Schwesterngemeinschaft, um der Not entgegenzutreten. Er sandte einen Priester in die Bretagne, um junge Frauen anzuwerben, die bereit waren, den Menschen in Afrika zu dienen. “Weder Reichtum noch menschliche Größe” konnte er versprechen, sondern nur “Armut, Elend, Selbstverleugnung und einen möglichen Märtyrertod”.
Wie schwierig die Aufgabe sein würde, dessen war sich Lavigerie bewusst: “Bei den Muslimen kann sich niemand einem weiblichen Wesen nähern, ohne selbst eine Frau zu sein”, heißt es in seinem Missionsappell. “So wartet hier auf euch Frauen ein Auftrag, wie er euch in der Kirche kaum noch je anvertraut worden ist.” Acht junge Frauen entschieden sich für Algier; die meisten hatten die Bretagne nie zuvor verlassen. Am 9. September 1869, vor 150 Jahren, trafen sie ein. Noch tags zuvor waren sie in einen Sturm geraten – mit dem die Geschichte der “Missionsschwestern Unserer Lieben Frau von Afrika” quasi begann.
Das antike Christentum in Nordafrika war mit der islamischen Eroberung im 7. Jahrhundert untergegangen. Erst im kolonialen Fahrwasser Frankreichs ergab sich Mitte des 19. Jahrhunderts eine Chance für ein neues Kapitel der Christianisierung. Eine Schlüsselfigur für diesen Versuch war der spätere Kardinal und “Primas Afrikas” Lavigerie (1825-1892). Gebürtig im Baskenland, wurde er Bischof von Nancy und 1867 von Pius IX. zum Erzbischof von Algier ernannt.
Mit der Wiederbelebung des Christentums in Nordafrika fasste Lavigerie sogar eine Verbreitung in ganz Afrika ins Auge. Sein Mittel dafür waren Missionsgesellschaften, die sich für Bildung, für Arme, Kranke und Waisenkinder einsetzen sollten. Im Herbst 1868 gründete er die Gesellschaft der Afrikamissionare (“Weiße Väter”). Ein Jahr später folgte der weibliche Zweig, die “Weißen Schwestern”. Kurz nach den acht Bretoninnen kamen weitere junge Frauen aus Frankreich und Belgien; bis Ende September 1869 waren 22 Postulantinnen eingetroffen.
Die ersten Weißen Schwestern, meist robuste Bauernmädchen, lebten äußerst einfach, in nackten Unterkünften mit Hitze und Ungeziefer. In kleinen Gemeinschaften bearbeiteten sie das Land, beteten und kümmerten sich um die Waisen. Die Bildung und religiöse Erziehung der Kinder und die Verbindung zu den örtlichen Frauen waren ihre Hauptaufgaben. Später kam verstärkt die Krankenpflege hinzu.
Die landläufige Bezeichnung der “Weißen Väter/Schwestern” knüpft an das weiße Ordensgewand an. Allerdings wurde der Name allzu häufig mit der Hautfarbe der Priester assoziiert – weshalb später eher die Bezeichnung “Afrikamissionare/-missionarinnen” bevorzugt wurde. Die Mitglieder sollten die Kultur der einheimischen Bevölkerung respektieren und eine bodenständige Kirche aufbauen.
Zur Generaloberin wurde 1882 Schwester Marie Salome gewählt. Die Bretonin war anstelle ihrer Cousine nach Nordafrika gekommen, die das Klima nicht verkraftet hatte. Ab 1874 diente sie in Les Attafs, einem Dorf, das Lavigerie für erwachsene Waisen eingerichtet hatte. Doch noch war der Erzbischof nicht wirklich von seiner zweiten Gründung überzeugt. Einige Schwestern erschienen ihm zu wenig qualifiziert für die große Aufgabe.
Marie Salome kämpfte für ihre Schwestern – und setzte sich durch. 1909 wurde die Gemeinschaft von Papst Pius X. bestätigt. Sie blieb bis 1925 Oberin und starb 1930 in Algier, mit 83 Jahren. 1926 wurde die erste Schwesterngemeinschaft in Deutschland gegründet. In den nordafrikanischen Missionsgebieten gab es Anfang der 1930er Jahre 34 Niederlassungen mit rund 300 Schwestern; weltweit waren es zu dieser Zeit bereits fast 1.000 und 1966 schon 2.163. Doch bis 2003 fiel die Zahl wieder auf 1.050 Schwestern zurück, bis 2018 auf 600: je ein Drittel aus Europa, Nordamerika und Afrika.
Die bekannteste “Weiße Schwester” aus Deutschland ist die Saarländerin Lea Ackermann (82), vielfach geehrt für ihren Kampf gegen Zwangsprostitution. Heute gibt es Gemeinschaften in 15 afrikanischen Ländern, von Algerien bis Uganda. Das Generalhaus ist in Rom, das Regionalhaus für Deutschland in Trier-Ruwer. Wie zu Beginn verfolgen die Ordensfrauen weiter den Aufbau einer dienenden Kirche in Afrika – in Respekt gegenüber der Spiritualität des anderen.
(KNA - tksmt-89-00173)