Stuttgart (KNA) Die alevitische Minderheit in Deutschland ist aus Sicht von Fachleuten ein Vorbild für die Integration von Menschen aus dem islamischen Kulturraum. Allerdings gebe es unter den bis zu 800.000 Aleviten hierzulande viele, die nicht als Muslime gelten wollten, sondern als eigenständige Religionsgemeinschaft, so ein Ergebnis einer Tagung in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart am Dienstag.
Auch aufgrund ihrer eigenen Verfolgungsgeschichte in der Türkei spielten demokratische Werte wie Pluralismus und Toleranz eine zentrale Rolle für die Gemeinschaft, sagte Yilmaz Kahraman vom Verband Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF). “Religiösen Extremismus lehnen wir ab.” Während die Stigmatisierung in der Türkei zum Alltag gehöre, sei man für die Freiheit in Deutschland dankbar.
Auch der katholische Theologe Timo Güzelmansur bescheinigte Aleviten eine hohe Integrationsfähigkeit. Sie seien “besonders sensibel für den Gedanken der Freiheit – auch der Freiheit des anderen”. Anders als strenggläubige sunnitische Muslime pochten sie nicht auf rigide Geschlechtertrennung und die Verhüllung der Frau. “Das trägt dazu bei, dass es unter Aleviten wenig Integrationsprobleme gibt”, so der Leiter der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle der Deutschen Bischofskonferenz.
Neben der Verehrung Alis, dem Vetter des Propheten Mohammed, spielten die sufische Mystik und vorislamische Elemente wie der Glaube an Wiedergeburt eine zentrale Rolle, so Cem Kara vom Institut für Islamisch-Theologische Studien der Universität Wien. Statt einer strikten Befolgung der Regeln der Scharia, die Aleviten als göttliches Gesetz ablehnen, stehe bei Aleviten die Selbstvervollkommnung des Menschen im Vordergrund.
Die Professorin für Alevitisch-Theologische Studien der Universität Wien, Handan Aksünger-Kizil, wies auf die schwierige religiöse Selbstverortung der alevitischen Gemeinschaft hin. So sähen sich manche Aleviten als Träger des “wahren Islam”, andere als eigenständige Religionsgemeinschaft, und eine dritte Gruppe betrachte das Alevitentum lediglich als eine Art spirituelle Lebensphilosophie.
Der Tübinger Islamwissenschaftler Erdal Toprakyaran sprach sich für alevitisch-theologische Seminare an deutschen Universitäten aus. Die bundesweit sieben Zentren für Islamische Theologie bildeten nur den sunnitischen Zweig des Islam in Deutschland ab. Allerdings bestehe das Problem auch darin, dass sich die Aleviten untereinander nicht einig seien, ob sie zum Islam zählen oder nicht.
Die Tagung in der Stuttgarter katholischen Akademie stand unter dem Motto “Aleviten in Deutschland – Gesellschaft gemeinsam gestalten”. Organisiert wurde sie in Zusammenarbeit mit der Stiftung Weltethos und dem Verband AABF, der rund 160 Ortsgemeinden bundesweit vertritt.
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