Liebe Leserinnen und Leser,
„die Ereignisse von Hanau am 19. Februar haben uns zutiefst erschüttert. Uns bewegt das Schicksal der Menschen, die der Bluttat zum Opfer fielen, sowie deren Angehörigen und Freunde“, schrieb Bischof Michael Gerber, zu dessen Bistum Hanau gehört, als Reaktion auf die Tat, die aus rassistischen Motiven begangen wurde. Der Täter erschoss acht Männer und eine Frau mit Migrationshintergrund, die zwischen 20 und 37 Jahre alt waren, sowie seine 72-jährige Mutter und sich selbst. Diese schreckliche Tat lässt die schlimmen Erinnerungen an den NSU hochkommen. Leider sind Grauen dieser Art bei hetzerischer, ausgrenzender Sprache, wie sie wieder vermehrt in Deutschland geäußert wird, nicht zu verhindern, sondern werden von dieser gefördert. „Wer Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sät, muss auch damit rechnen, dass daraus brutale Gewalt erwächst“ (Heinrich Bedford-Strom).
Neben rassistischer Sprache gibt es noch einen zweiten problematischen Aspekt, auf den im Zuge von Hanau Canan Topçu aufmerksam macht, nämlich auf das, was „jenseits der echten Anteilnahme und der tiefen Betroffenheit auch stattfindet: doppelzüngiges Sprechen, Instrumentalisieren der Opfer und Konkurrieren um das Opfersein. Das ist ungeheuerlich, hässlich und sehr unanständig. Moralischer Tiefpunkt. Das gehört sich nicht!“ Es ist nötig, dass die unterschiedlichen Gruppierungen aufrichtig und hellhörig gegenüber solchen Tendenzen sind und diese in den eigenen Reihen nicht dulden. Ende Februar mussten wir eine weitere Nachricht mit großer Sorge wahrnehmen, denn das Bundesverfassungsgericht hat am 26. Februar das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) aufgehoben. „Dieses Urteil stellt einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar“, erklärten Kardinal Marx und Bischof Bedford-Strom.
Schon Ende Oktober 2019 wurde in Rom eine gemeinsame interreligiöse Erklärung zum Umgang mit sterbenskranken Patienten unterzeichnet, die wir in diesem Heft dokumentieren. Vertreter verschiedener Religionen und Konfessionen, unter anderem aus dem Vatikan, dem Großrabbinat von Israel und der muslimischen Nahdlatul Ulama aus Indonesien haben sich darauf verständigt, dass „Euthanasie und assistierter Suizid von Natur aus und in der Konsequenz aus moralischer wie religiöser Sicht falsch sind und […] ausnahmslos verboten werden [sollten]. Jeglicher Druck auf Todkranke, ihr Leben durch aktives und vorsätzliches Handeln zu beenden, wird kategorisch abgelehnt.“ Diese jüdisch-christlich-muslimische Erklärung setzt sich dafür sehr stark für Palliativmedizin sowie für die Gewissensfreiheit von Ärzten und Pflegern ein. Diese interreligiöse Erklärung zeigt, wie unerlässlich es ist, dass die Religionsvertreter sich für das Leben einsetzen und ihre Stimme gemeinsam erheben.
Historisch ist nicht der Inhalt, sondern, wie Erzbischof Vincenzo Paglia, Leiter der Päpstlichen Akademie für das Leben, ausführt, dass die Erklärung überhaupt zustande kam, an der sie über anderthalb Jahre gemeinsam gearbeitet haben. Das ist ein ermutigendes Zeichen, damit auch zukünftig an gemeinsamen Themen zum Wohle der Menschheit weitergearbeitet wird. Ich darf in eigener Sache mit Freude mitteilen, dass Anja Middelbeck-Varwick, die neue Professorin für Religionstheologie und Religionswissenschaft an der Goethe Universität in Frankfurt a. M., in Zukunft Mitglied des Redaktionsbeirats von CIBEDO-Beiträge sein wird. Professorin Middelbeck-Varwick wird durch ihr Fachwissen und ihre langjährige Dialogerfahrung die Redaktion bereichern. An dieser Stelle danken wir für ihr ehrenamtliches Engagement und freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit!
In diesem Sinne viel Freude bei der Lektüre dieses Heftes!
Ihr Timo Güzelmansur
Inhalt
Studien
Das Zertifikat für Interreligiöse Mediation an der Universität Augsburg. Eine Zusatzqualifikation zur Professionalisierung von Lehrkräften
Jens Beiner
Koraninterpretation heute: Zwischen Tradition und modernen Medien
Johanna Pink
Der Disput über die Schau Gottes im Islam. Ein Beispiel muslimischer Dialektik
Cüneyd Yıldırım
Dokumentation
Brüderlichkeit für Wissen und Zusammenarbeit
Stellungnahme muslimischer Geistlicher zum Dokument von Abu Dhabi
Positionspapier der abrahamitischen monotheistischen Religionen zu Angelegenheiten, die das Ende des Lebens betreffen
Gemeinsame unterzeichnete Veröffentlichung, Vatikanstadt 28. Oktober 2019
Christen und Muslime: Gemeinsam der Menschheit dienen
Abschließende Stellungnahme des 11. Kolloquiums zwischen dem CIID, der ICRO und dem PCID, Teheran, 11.–12. November 2019
Berichte
Iran: Interreligiöse Begegnungsreise als Lern- und Erfahrungsort
Elisabeth Zissler
Christlich-Islamische Beziehungen im europäischen Kontext. Studienwoche Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Kathrin Paszek und David Rüschenschmidt
Darf eine Muslimin auf die Kanzel einer evangelischen Kirche? Hintergründe zur Kanzelrede vom 31. Oktober 2019
Ralf Lange-Sonntag
Die Gabe von Tibhirine. Internationales Kolloquium zum 1. Jahrestag der Seligsprechung der neunzehn Märtyrer von Algerien
Marie-Dominique Minassian, Michael Sherwin OP, Thierry Collaud
Buchbesprechungen
Brooks, Patrick: Die Lehren Jesu im arabisch‑islamischen Schrifttum
Christian W. Troll SJ
Fülling, Hanna: Religion und Integration in der deutschen Islampolitik. Entwicklungen, Analysen, Ausblicke
Sebastian Prinz
Literaturhinweise
Zeitschriftenschau