Muttergöttinnen wurden vom männlichen einzigen Gott verdrängt
Darstellungen weiblicher Gottheiten waren in der Vielgötter-Welt des Alten Orients weit verbreitet. Doch seit dem biblischen Monotheismus steht Gott ohne Partnerin da. Ihm verblieb nur eine “weibliche Seite”.
Von Norbert Demuth (KNA)
Frankfurt (KNA) Das nach fünfjähriger Umbauzeit in doppelter Größe wiedereröffnete Jüdische Museum der Stadt Frankfurt begreift sich nicht nur als Museumshaus. Der neue Komplex aus restauriertem Rothschild-Palais und hellem Neubau will auch ein Zentrum für jüdische Kultur in Geschichte und Gegenwart sein. Die Frage, “wie das Zusammenleben in einer diversen Gesellschaft gelingen kann”, soll dort im Mittelpunkt stehen. Die erste Wechselausstellung in den knapp 650 Quadratmeter umfassenden neuen Räumen des Lichtbaus trägt gleich einen vielsagenden Titel: “Die weibliche Seite Gottes.”
Die Ausstellung schlage einen “bislang noch nicht unternommenen, kulturgeschichtlichen Bogen von antiken archäologischen Figurinen über mittelalterliche hebräische Bibelillustrationen, Madonnenbilder der Renaissance bis hin zu Interpretationen renommierter zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler”, so die Macherinnen. Kuratiert wurde die Ausstellung von Felicitas Heimann-Jelinek und Michaela Feurstein-Prasser in Zusammenarbeit mit Eva Atlan und Museumsdirektorin Mirjam Wenzel.
Die Schau ist von Freitag bis 14. Februar zu sehen. Sie baut den Angaben zufolge auf der gleichnamigen Präsentation im Jüdischen Museum Hohenems in Österreich aus dem Jahr 2017 auf, erweitert diese aber um Handschriften und Gemälde des Mittelalters und der Renaissance sowie zeitgenössische Kunst.
Ausgangspunkt sind archäologische Artefakte aus dem Alten Orient zu weiblichen Gottheitsvorstellungen. Ein Beispiel: die Göttin “Aschera” als stilisierter Baum. Ihre Darstellungen wurden insbesondere in der Gegend um Jerusalem gefunden. Zu sehen ist in Frankfurt etwa ein 49 Zentimeter hoher und 33 Zentimeter breiter Altar aus gebranntem Ton aus dem nordisraelischen Rehov, der aus dem zehnten Jahrhundert vor Christus stammt, also aus der Eisenzeit.
Darstellungen weiblicher Gottheiten waren in der Vielgötter-Welt des Alten Orients weit verbreitet. Im Zuge des biblischen Monotheismus wurden sie aber mehr und mehr verdrängt. “Fortan wird dem einzigen Gott in der hebräischen Bibel und den rabbinischen Auslegungsschriften weniger eine Partnerin zur Seite gestellt, als vielmehr eine weibliche Seite zugesprochen”, so die Kuratorinnen. In den biblischen und außerbiblischen Texten fänden sich vielfältige Vorstellungen von weiblichen Aspekten des “einen Gottes” – etwa der Weisheit.
Die Schau thematisiert auch mystische Strömungen der drei monotheistischen Weltreligionen, also die Gnosis im Christentum, die Kabbala im Judentum und den Sufismus im Islam. Mit der “Schechina” – der “Einwohnung Gottes auf Erden” – sei in den rabbinischen Schriften eine Vorstellung verbunden, die in der jüdischen Mystik eine zentrale Rolle spiele. Die “Schechina” ist demnach immer dann anwesend, wenn Jüdinnen und Juden beten oder die Tora studieren.
Die Künstlerin Jacqueline Nicholls versinnbildliche diese Vorstellung, indem sie eine Art Tora-Mantel, der als Schutz um eine Tora-Rolle gestülpt wird, in Form einer Korsage gestaltet habe, die weibliche Formen erahnen lasse. Zu sehen ist zudem das Gemälde “Schechina” von Anselm Kiefer von 1999, bei dem er Öl, Tempera, Acryl, Blei und Aluminiumdraht auf Leinwand verwendet und damit ein schemenhaftes, von keinem Menschen getragenes weißliches-graues Kleid zeigt.
Die Vorstellung einer Muttergöttin oder “Großen Mutter” geht demnach auf frühgeschichtliche Kulturen zurück: Göttinnen wurden als Lebensspenderinnen, Fruchtbarkeitsgöttinnen oder Mutter von Göttern verehrt. Etwa Isis, deren Kult aus Ägypten stammt.
Dargestellt wird sie bei einer Bronzefigur als stillende Göttin mit dem Horus-Knaben auf dem Schoß – Horus war ein Hauptgott in der Mythologie des Alten Ägypten. Das Exponat stammt aus der Zeitspanne vom zweiten Jahrhundert vor Christus bis zum ersten Jahrhundert nach Christus. Ikonographisch gelte die Isis-Darstellung als “Vorläufer” der Stillenden Muttergottes (Maria lactans). Die stillende Maria wurde im Laufe der Jahrhunderte zu einem eigenen Genre in der Kunstgeschichte. Die Künstler betonten dabei immer das Menschsein der “himmlischen Mutter Maria”.
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