“Der beste Freund des Islamisten ist der Islamfeind”
Von Christoph Schmidt (KNA)
Bonn (KNA) Lamya Kaddor (42) gehört zu den bekanntesten Gesichtern des liberalen Islam in Deutschland. Die Terrorakte von Paris bis Wien haben sie erschüttert. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht die muslimische Religionspädagogin und einstige Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes über Strategien gegen den Islamismus und fehlende Entschlossenheit der deutschen Politik.
KNA: Frau Kaddor, die Islamdebatte hat sich seit der erneuten Gewaltwelle noch einmal verschärft. Geht man das Problem Islamismus jetzt ehrlicher an, auch in Deutschland?
Kaddor: Die Notwendigkeit, gegen islamistische Strukturen vorzugehen, ist auf jeden Fall noch größer geworden. Dazu gehört die Erkenntnis, dass Islamismus selbstverständlich etwas mit dem Islam zu tun. Die Täter verstehen sich als Muslime und werden von radikalen Imamen und Gelehrten aufgehetzt, die sich auf eine gewalttätige Lesart des Koran berufen. Wir müssen also Strukturen stärken, die eine friedliche Interpretation der Schriften verbreiten, ihren spirituellen Kern betonen und gewaltlegitimierende Verse in den historischen Kontext ihrer Entstehungszeit einordnen. Hier gibt es einige gute Ansätze, aber insgesamt reagiert die deutsche Politik zu wenig zielgerichtet.
KNA: Das heißt konkret?
Kaddor: Einerseits fließt viel Geld in Deradikalisierungsangebote und Aussteigerprogramme für islamistische Jugendliche. Der Staat arbeitet über die Deutsche Islamkonferenz enger mit Moscheegemeinden zusammen. Auch die Ausbildung von islamischen Theologen und Imamen im deutschen Bildungskontext macht Fortschritte, was den ausländischen Einfluss auf das islamische Glaubensleben mit der Zeit verringern wird.
KNA: Und andererseits?
Kaddor: …reicht das bei weitem nicht aus. Ganz wichtig wäre etwa ein flächendeckender Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler. Ohne dieses Mittel überlässt der Staat die religiöse Sozialisation junger Muslime vielfach traditionell ausgerichteten Koranschulen und leider oft noch sehr durch ausländische, patriarchalische Einflüsse geprägten Familien. Und im schlimmsten Falle Hasspredigern im Internet. Das ist dem Zusammenleben in Deutschland nicht zuträglich. Es ist doch ein Armutszeugnis, dass in Nordrhein-Westfalen nur 13.000 Kinder islamischen Religionsunterricht erhalten. Hier brauchen wir mehr Lehrpersonal und mehr politischen Willen.
KNA: Heißt das, der konservative Islam, wie ihn etwa die meisten Islamverbände vertreten, kann die Entstehung islamistischer Haltungen begünstigen?
Kaddor: Da muss man differenzieren. Unter den islamischen Vereinen gibt es einige mit Berührung zu Extremisten, etwa den Muslimbrüdern. Da sollte die Politik auch besser hinschauen. Aber man kann durchaus konservativer Muslim und trotzdem bestens in die westliche Gesellschaft integriert sein. Gelingende Integration ist das beste Gegenmittel gegen Islamismus. Und da sehe ich die Verbände schon in der Verantwortung. Organisationen wie die türkische Ditib verbreiten per se keine gewaltbereite islamistische Propaganda, aber tragen mit ihrer engen Anbindung an die türkische Religionsbehörde auch nicht gerade zur Integration bei. Deshalb sollte der Staat solche Verbände nicht als Gesprächspartner bevorzugen. Er sollte auch auf nur in Deutschland verwurzelte und moderate Islamvertreter setzen. Fehlender Integrationswille ist aber noch kein Islamismus.
KNA: Als Religionslehrerin erleben Sie die Einstellungen von Schülern und Eltern hautnah. Wie würden Sie die Mehrheit beschreiben?
Kaddor: Auf einer Skala von fundamentalistisch bis säkular würde ich die meisten klar in der Mitte einordnen, das heißt zwischen liberal und gemäßigt konservativ. Ich erlebe selten Muslime, die nur konservativ sind. Die Mehrheit wünscht sich eine zeitgemäße Auslegung des Islam. Es ist wichtig, immer wieder zu betonen, dass die allermeisten Muslime mit Islamisten nichts zu tun haben wollen und ihre Religion einfach nur friedlich im Privaten praktizieren. Oft erlebe ich aber auch, dass die Kinder von ihrer Religion wenig wissen. Das beschränkt sich dann auf einige Gebote und Verbote und das ist dann für sie der Islam.
KNA: Sorgen bereitet aber die radikale Minderheit. Häufig ist inzwischen auch vom “politischen Islam” die Rede, als gewaltfreie Variante des Islamismus.
Kaddor: Die Bezeichnung trifft sicherlich auf einige Gruppierungen zu, wird aber meist zu pauschal verwendet. Sie darf nicht zu einem Kampfbegriff von Islamgegnern werden, der alle Formen traditioneller Gläubigkeit in die Nähe des Islamismus rückt. Wir dürfen in der ganzen Debatte ja nicht vergessen: der beste Freund des Islamisten ist der Islamfeind. Der eine braucht den anderen, um Anhänger zu gewinnen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir Islamfeindlichkeit genauso bekämpfen wie den radikalen Islam und seine terroristischen Auswüchse. Wer das Kopftuch generell als “Fahne des Islamismus” diffamiert, hilft damit den Extremisten.
KNA: Skeptiker halten dem entgegen, Begriffe wie “Islamophobie” oder “antimuslimischer Rassismus” seien ihrerseits islamistische Kampfbegriffe, um jede Kritik von vornherein als islamfeindlich abzustempeln.
Kaddor: Damit beginnt das Problem. Islamfeindlichkeit ist in unserer Gesellschaft sehr real. Das kann jeder Muslim spüren und das belegen auch zahlreiche Studien, die man nicht einfach abstempeln darf. Das beginnt mit Benachteiligungen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt und endet schlimmstenfalls bei tödlichen Attentaten auf Muslime wie vor einem Jahr in Hanau. Man bedient keinen Opfermythos, wenn man mehr Aufstiegschancen für Musliminnen und Muslime fordert. Muslimische Jugendliche müssen spüren, dass sie zu dieser Gesellschaft gehören, mit oder ohne Kopftuch. Das ist genauso wichtig wie ihr eigener Wille zur Integration. Wir brauchen mehr soziale “Durchmischung”. Perspektivlose Verhältnisse wie in den französischen Banlieues, die den Islamismus nähren, müssen wir unbedingt verhindern.
KNA: Sie kandidieren als neues Parteimitglied der Grünen für den Bundestag. Wofür würden Sie sich im Parlament einsetzen?
Kaddor: Ich möchte dafür arbeiten, alle Formen von Extremismus in der Gesellschaft zu bekämpfen. Nach den Anschlägen redet man jetzt vermehrt von den Islamisten – das ist verständlich nach den Attentaten in Dresden, Paris, Nizza und Wien. Aber Rechtsextremismus, Antisemitismus und der Hass auf Muslime bleibt ein Riesenproblem – und beide Richtungen verstärken sich gegenseitig. Ein weiterer Schwerpunkt wäre der Einsatz für das Soziale, für Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit. Auf diesem Gebiet würde ich die Grünen auch gerne weiter stärken.
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