Frankfurt (KNA) Der Extremismusforscher Lorenzo Vidino sieht im politischen Islam in Deutschland eine große Bedrohung. Diese bestehe natürlich auch durch den Dschihadismus in Europa – “aber es ist eine andere Art von Problem, wenn hochgradig organisierte und sehr gut finanzierte Gruppen in den muslimischen Gemeinschaften eine Botschaft aussenden, die immer auf Folgendes hinausläuft: ‘Wir sind anders, wir gehören nicht wirklich in diese Gesellschaft, wir haben andere Werte'”, sagte Vidino der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” im Interview. Diese Botschaft sei hochgradig spaltend.
In das Spektrum des sogenannten legalistischen Islamismus falle in Deutschland das Milieu um die Organisation Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) und auf türkischer Seite die Islamische Gemeinschaft Milli Görus, so der Direktor des Programms für Extremismusforschung an der George-Washington-Universität in Washington.
Gerade ihr gesellschaftliches Engagement mache sie gefährlich. “Es ist paradoxerweise so: Diejenigen, die in der Theorie moderater sind, sind unter Umständen am problematischsten. Sie gehen zu Veranstaltungen, auf denen sie der Bundeskanzlerin die Hand schütteln, treten im Fernsehen auf und machen dort eine gute Figur (…).” Diese Personen seien “sehr clever”, beherrschten die Sprache der Islamophobie und reagierten auf Kritik mit dem Vorwurf des Rassismus. Obwohl Geheimdienste bestimmte Organisationen als hochproblematisch einstuften, behandelten Politiker sie oft als legitime Partner.
Zwar seien Angehörige der genannten Gruppierungen moderater als etwa Salafisten, “aber sie sind deutlicher konservativer oder extremistischer als die schweigende Mehrheit der Muslime in Europa”, so der Forscher. “Was mir Sorge bereitet ist, dass sie in der Lage sind, morgens eine Antidiskriminierungsallianz mit einer LGBTQ-Gruppe zu bilden und nachmittags einen salafistischen Imam einzuladen, der sich dafür ausspricht, Schwule zu steinigen.”
Bisherige Ansätze, dem politischen Islam zu begegnen, zielten meist auf “den erwähnten unkritischen Dialog oder darauf, gar nicht mit diesen Menschen zu reden”. Beides sei strategisch unklug. Nötig seien strikte Maßnahmen, das Vorgehen gegen die jeweiligen Gruppen und das Abschneiden von Finanzquellen. Gleichzeitig müssten jedoch auch positive Angebote gemacht werden, damit kein Vakuum entstehe.
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