“Konfliktfreies Zusammenleben ist möglich”
Bis zu 200.000 Juden und rund 5 Millionen Muslime leben inzwischen in Deutschland. Besonders die Bedeutung des Islam wird in Zukunft noch zunehmen. Ein Rabbiner und ein islamischer Theologe sehen die Vielfalt als Chance.
Von Christoph Schmidt (KNA)
Freiburg (KNA) Religiöse und kulturelle Vielfalt werden Deutschland im 21. Jahrhundert tiefgreifend verändern. Die pluralistische Gesellschaft gilt in der westlichen Welt als das anzustrebende Zukunftsmodell. Offen ist die Frage, ob daraus ein bloßes Nebeneinander oder ein echtes Miteinander der verschiedenen Gruppen wird. In ihrem neuen Buch “Umdenken! Wie Islam und Judentum unsere Gesellschaft besser machen” suchen der islamische Theologe Mouhanad Khorchide und der Rabbiner Walter Homolka aus der Perspektive ihrer jeweiligen Religion nach Antworten.
Die Autoren loten zunächst das ambivalente Verhältnis zwischen Juden und Muslimen aus. In seinem Eröffnungsbeitrag unterstreicht Homolka Gemeinsamkeiten. Sie beginnen schon in der biblischen Geschichte von Abrahams Söhnen Isaak und Ismael. Historisch teilten beide Religionen mit den Kreuzzügen und der spanischen Reconquista gleiche leidvolle Erfahrungen, und nach ihrer Vertreibung fanden Juden aus Europa Zuflucht im Osmanischen Reich. Theologisch stehen sich Judentum und Islam deutlich näher als dem Christentum mit seiner Trinitätslehre und der Anbetung Jesu als Gottes Sohn.
Alle drei Religionen verkörpern für Homolka aber “unterschiedliche Ausdrucksformen der gleichen zivilisatorischen Werte” und können im Prinzip konfliktfrei in ein und derselben Gesellschaft existieren. Den islamistischen Terrorismus sieht der Rabbiner als ungelöstes Problem, dem sich die Muslime ehrlicher stellen müssten. Den muslimischen Antisemitismus, der sich auf Koran und Sunna beruft und heute durch den Nahostkonflikt speist, spricht Homolka indessen nicht an. Hier wäre eine Auseinandersetzung aus jüdischer Perspektive sicher aufschlussreich gewesen.
Dafür widmet sich Khorchide im spannendsten Beitrag des Buches ausführlich dem Bild, das der Koran von Juden zeichnet. Seine These: Mohammed wollte keinen Bruch mit den anderen monotheistischen Glaubensgemeinschaften, sondern sah seine Botschaft als eine Art Fortführung des Judentums mit Moses und Abraham im Zentrum. Erst die kulturell-politischen Rahmenbedingungen hätten den Islam zu einer eigenständigen Religion mit exklusivem Wahrheitsanspruch werden lassen.
Der Koran macht widersprüchliche Aussagen zu Juden und Christen, die er mal als Gottgläubige anerkennt, mal als Frevler und Verfälscher der göttlichen Offenbarung verurteilt. Jene Verse, die Juden als Abtrünnige verdammen, beziehen sich laut Khorchide aber nur auf örtliche Gruppen in Medina, die entweder mit Mohammeds mekkanischen Gegnern paktierten oder von der mosaischen Religion abwichen, nicht auf das Judentum als Ganzes. Als einen Beleg führt er die wohl zuletzt offenbarte Sure 5 an, die gläubigen Juden und Christen wie Muslimen das Paradies verheißt (Vers 69).
“Hochproblematisch” findet der islamische Reformtheologe, dass viele judenfeindliche Details der Biografie Mohammeds erst Generationen nach seinem Tod aufgeschrieben wurden und kaum authentisch sein dürften. Gleichwohl prägen sie bis heute das Mohammed-Bild vieler Muslime.
Spannend erscheint vor diesem Hintergrund der Gedanke Homolkas, das Judentum könne dem Islam als Vorbild dienen, “wie man der Tradition gerecht wird und dennoch mit den Erträgen der Aufklärung zurechtkommt”. Die Entwicklung einer akademisch verankerten jüdischen Theologie schildert der Rabbiner von ihren Anfängen im 19. Jahrhundert. Dabei wird deutlich, wie sehr gelingende religiöse Vielfalt auf eine wohlwollende Neutralität des Staates angewiesen ist. Nach dem Holocaust dauerte es bis 2013, bevor mit der School of Jewish Theology in Potsdam eine staatlich integrierte Lehrstätte den Betrieb aufnehmen konnte.
Zugleich fördert die Bundesregierung die islamische Theologie an fünf Uni-Standorten – angesichts der gegenüber Juden deutlich höheren Bevölkerungszahl von Muslimen bei weitem das gewichtigere Projekt. Hier geht Khorchide hart mit dem Staat ins Gericht. Dessen Bestreben, den Islam im Sinne einer besseren Adressierbarkeit zu “verkirchlichen”, schwäche die liberalen Muslime zugunsten der konservativen Verbände.
Ihr exklusives, antiliberales und frauenfeindliches Islamverständnis wird einem religiös pluralistischen Deutschland keinen guten Dienst erweisen, sondern stärkt nur die Feinde der Vielfalt: religiösen Fundamentalismus und rechten Populismus.
Am Ende bleibt der Leser deshalb etwas ratlos zurück, inwiefern der traditionelle Islam die deutsche Gesellschaft “besser” machen kann. Für westliche Gesellschaften wird er ein Stressfaktor bleiben, solange Menschen wie Khorchide keinen maßgeblichen Einfluss auf seine Theologie gewinnen.
Service:
W. Homolka, M. Khorchide: Umdenken! Wie Islam und Judentum unsere Gesellschaft besser machen, 192 Seiten, erschienen am 7. April im Verlag Herder, Freiburg
© KNA
Beitragsbild: © Herder