Köln (KNA) Nach Ansicht des deutsch-türkischen Autors Zafer Senocak steht die Imam-Ausbildung in Deutschland zu stark unter politischen Vorzeichen. Viele theologische, philosophische und auch mystische Traditionen des Islam gerieten so ins Hintertreffen, sagte er am Dienstag im Deutschlandfunk. Dieses Erbe müsse wiederentdeckt werden.
Als großes Problem, das “seit über 200 Jahren ungelöst” sei, nannte Senocak die Vermittlung der islamischen Tradition in die Moderne hinein. Dies sei aber umso wichtiger angesichts eines Trends in vielen Ländern wie etwa Bosnien oder Türkei, wo konservative Kräfte stärker würden.
Der Bildungsauftrag in Deutschland muss nach Ansicht des Autors heißen: “Wie erziehe ich Bürger, die Teil dieses Landes sind, die sich nicht permanent auf Dauer über Generationen hier fremd fühlen, sondern hier einheimisch sind, und der islamischen Religion angehören?”
Auch aktuelle Probleme in der islamischen Kultur, etwa Konflikte mit der westeuropäischen Lebensweise über Sexualmoral und Geschlechterrollen, müssten offener besprochen werden, so Senocak: “Eigentlich ist es die Aufgabe der Theologie. Wir haben doch schon seit über zehn Jahren an den Universitäten theologische Fakultäten in Deutschland. Die müssten diese Fragen offensiver diskutieren, mehr thematisieren – nicht immer einfach nur diese runden Aussagen: Der Islam sei eine friedliche Religion und würde sich wunderbar vertragen mit Demokratie und allem.”
Dabei sei keine Religion nur friedlich, ergänzte der Lyriker und Essayist. “Über diese Konflikte muss gesprochen werden. Es geht nicht um die Stigmatisierung der islamischen Religion als die einzige, die Probleme hat. Das Wichtige ist, diese Herausforderung nicht zu leugnen, sondern sie anzunehmen und zu diskutieren, und das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.”
Solche Debatten und auch die Ausbildung von Imamen sollte aus Senocaks Sicht “nicht nur eine Aufgabe eines Islamkollegs” sein, wie es eigentlich in diesem Monat in Osnabrück starten sollte, und zwar unabhängig von den überwiegend türkisch geprägten Islamverbänden.
Mit Blick auf diese Verbände betonte der Autor, hier gebe es zu viele Debatten um Politik und Einfluss: “Das ist ein innerislamisches Problem. Das kann weder der Bundesinnenminister lösen noch deutsche Gremien. Das müssen die Muslime selber lösen. Sie müssen endlich raus aus ihren Gehäusen und einfach mehr und offensiver in die Gesellschaft hineinarbeiten, untereinander kritischer diskutieren.”
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