Berlin (KNA) Altbundespräsident Joachim Gauck ruft zu einer umfassenden und richtig verstandenen Toleranz in der Gesellschaft auf. “Toleranz ist eine zivilisatorische Leistung und ein Gebot der politischen Vernunft”, sagte er Sonntag in Berlin bei einem Festvortrag bei der Jahrestagung der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk: “Toleranz bedeutet, das Anderssein des Anderen ertragen lernen – gerade das auszuhalten, was mich stört. Toleranz schließt den Streit nicht aus. Toleranz bedeutet, den Andersdenkenden ernst zu nehmen und ihn mit der Kraft des Arguments zu überzeugen, nicht dessen Meinungsfreiheit dirigistisch einzuengen.”
Zugleich warnte Gauck vor falsch verstandener Toleranz. Als aktuelles Beispiel nannte er ein Verschweigen von Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit oder Homophobie unter Migranten oder Muslimen. Dies halte er für gefährlich, auch wenn es ein richtiges Anliegen sei, Islam- und Ausländerfeindlichkeit entgegenwirken zu wollen. Doch eine falsch verstandene Toleranz könne hier genau das Gegenteil bewirken.
“Toleranz ist eine Zumutung”, ergänzte Gauck wörtlich: “Ich muss ertragen lernen, was ich nicht oder nicht vollständig gutheiße.” Hier nannte er – ohne die AfD beim Namen zu nennen – “eine Partei rechts der Mitte, deren Inhalte ich nicht teile”. Er habe keinen Respekt und auch einen großen Widerwillen gegenüber der Partei, “aber ich toleriere sie”. Eine absolute Grenze des Tolerablen sei allerdings erreicht, “wo Menschen in Hass abdriften, die Rechtsordnung missachten oder die Würde jedes Menschen verachten”.
Die überwiegend virtuelle Jahrestagung des katholischen Cusanuswerks war mit gut 1.700 Teilnehmenden die größte Jahresversammlung, die es je gab. Die Bischöfliche Studienförderung Cusanuswerk ist das Begabtenförderungswerk der katholischen Kirche in Deutschland. Es hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 10.000 hochbegabte katholische Studierende und Promovierende gefördert.
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