“Disputationen mit Siegern und Verlierern braucht niemand”
Es gibt den jüdisch-muslimischen und den jüdisch-islamischen Dialog. Über Unterschied und Inhalt informiert jetzt ein neues, spannendes Buch. Und nicht zuletzt geht es um die Frage, wer eigentlich mit wem über was redet.
Von Leticia Witte (KNA)
Bonn (KNA) Von einem Massenphänomen kann keine Rede sein – vielmehr wird der jüdisch-muslimische Dialog in überschaubaren Kreisen geführt. Das schreibt Rabbinerin Elisa Klapheck gleich zu Beginn des neuen Buches “Judentum. Islam. Ein neues Dialogszenario” aus dem Verlag Hentrich & Hentrich. Der schmale Band macht Lust, sich mit der Matetrie eingehender oder überhaupt erst einmal zu beschäftigen. Und man wünscht dem Dialog, endlich die überschaubaren Kreise zu verlassen.
Denn es ist Klapheck zuzustimmen, wenn sie deutlich macht, was er letztlich bringen kann: “Disputationen mit Siegern und Verlierern, mit Rechthabern und Gescheiterten braucht heute niemand. Aber Diskurse, die in die spannenden Fragen zur Bedeutung der eigenen und der anderen Religion führen, könnten uns in einer multireligiösen Welt durchaus weiterbringen. “Allerdings müssen die Beteiligten auch einige Klippen umschiffen.
Da ist etwa der Nahostkonfikt. Denn die Juden und Muslime, die sich weder von ihm noch von “Kräften des radikalen Islam” eine “künstliche Feindschaft” aufzwingen ließen, verspürten oft eine “intuitive Nähe”, schreibt die Frankfurter liberale Rabbinerin, die auch Professorin für Jüdische Studien am Zentrum für Komparative Theologie in Paderborn ist. “Man versteht sich.”
Etwa wegen der Erfahrung als Minderheit und von Diskriminierung auf beiden Seiten. Auf dem religiösen Feld gebe es mit Speiseregeln, einem Bilderverbot oder historisch gesehen auch im Rechtsverständnis Überschneidungen. Juden und Muslime hätten durch das einstige Zusammenleben im Arabischen Reich ein gemeinsame Geistesgeschichte.
Idealisieren möchte die Rabbinerin das Verhältnis jedoch nicht: Zwar habe es die Pogrome und Vertreibungen des christlichen Mittelalters in der islamischen Welt so nicht gegeben. Aber: “Die Vertreibung der Juden aus den meisten Staaten mit islamischen Mehrheitsbevölkerung nach der Staatsgründung Israels 1948 beweist den prekären Status, in dem Jüdinnen und Juden auch in der arabischen Welt lebten.”
Das Buch streift bestehende Projekte wie “Schalom Aleikum” sowie den christlich-jüdischen Dialog und nimmt den jüdisch-islamischen Dialog in den Blick: “Wie spricht man über die Tradition der Anderen, ohne zu brüskieren – gerade, wenn die Tradition der Anderen auch negative Aussagen über die eigene Tradition enthält”, fragt Klapheck. Denn der Koran transportiere Aussagen über Juden, die einen solchen
Dialog ohne kritische Refexion belasten könnten.
Unter anderem darauf geht der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik ein, blickt in Koransuren, in philosophische und historische Betrachtungen. Er beschäftigt sich mit Al-Andalus: “Tatsächlich ließ die komplexe Konstellation im muslimisch-christlich-jüdischen Spanien eine noch heute bedeutende jüdische Religionsphilosophie entstehen, die sich sehr genau mit den Wahrheitsansprüchen der drei Religionen
auseinandersetzte.”
Brumlik verweist zugleich auf andere Denktraditionen; man müsse also nicht immer jenes “goldene Zeitalter” in Spanien beschwören, um sich zu verdeutlichen, dass Judentum und Islam einander nicht systematisch ausschlössen. Sein Fazit: Juden und Muslime sollten sich gegen den von Fundamentalisten auf beiden Seiten geschürten Hass wenden und stärker auf im Glauben begründete Gemeinsamkeiten setzen
– und den Dialog zwischen Islam und Judentum institutionalisieren, ähnlich wie in den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.
Die Dritte im Bunde ist die am Dartmouth College lehrende Susannah Heschel, die Modalitäten des Dialogs unter die Lupe nimmt. Sie stellt fest, dass oft männliche Geistliche “mit der Stimme von Autorität und Orthodoxie” sprächen. Jedoch seien die Stimmen derer, “die ihre eigenen religiösen Traditionen in Frage stellen und bereit sind, substanzielle theologische Veränderungen zu bewirken”, oft die interessantesten.
Heschel plädiert unter anderem dafür, künftig den Dialog von Liberalen und Konservativen zu fördern sowie auch die feministische Religionskritik in den Blick zu nehmen. Insgesamt unterstreicht sie, dass die Beziehungen von Muslimen und Juden über die Jahrhunderte vom jeweiligen kulturellen und politischen Umfeld bestimmt worden seien – und nicht von einzelnen Koranversen.
Service
Elisa Klapheck, Micha Brumlik, Susannah Heschel: Judentum. Islam. Ein neues Dialogszenario, Verlag Hentrich & Hentrich, Leipzig, 80 S., 9,90 Euro, ISBN: 978-3-95565-506-8
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