Göttingen (KNA) Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat islamische Verbände in Deutschland aufgefordert, dem Völkermord an den Jesiden im Irak vor acht Jahren zu gedenken. Es sei bedauerlich, dass keiner der Verbände dem Aufruf der GfbV gefolgt sei, die Gräueltaten der Terrormiliz “Islamischer Staat” (IS) an der jesidischen Minderheit im Irak ab dem 3. August 2014 in der Freitagspredigt anzusprechen, erklärte die Menschenrechtsorganisation am Dienstag in Göttingen.
Der Aufruf war den Angaben zufolge Anfang Juli an mehrere islamische Verbände in Deutschland sowie im Irak ergangen. Allerdings habe es keine Rückmeldung darauf gegeben, so die Organisation. “Vor dem Hintergrund weltweiter religiöser Spannungen ist das Schweigen der Muslime in Deutschland zu von sunnitischen Extremisten begangenen Verbrechen mehr als bedauerlich”, kritisierte der GfbV-Nahostexperte Kamal Sido. Eine demonstrative Solidarität der Religionsgemeinschaften hätte auch die Politik ermutigen sollen, mehr zum Schutz von Minderheiten zu unternehmen.
Am 3. August 2014 startete der IS eine großangelegte militärische Offensive gegen die traditionell von Jesiden bevölkerten Gebiete im Norden des Irak. Dabei wurden rund 5.000 Menschen getötet und 7.000 weitere verschleppt und entführt. Bis heute sind etwa 3.000 Menschen weiter vermisst. Im Juli 2022 sprach sich der Deutsche Bundestag dafür aus, die Taten als Völkermord anzuerkennen.
Stichwort
Jesiden
Bonn (KNA) Jesiden sind eine religiöse Minderheit unter den Kurden. Weltweit hat die monotheistische Religionsgemeinschaft mehrere hunderttausend Mitglieder. Erstmals erwähnt werden die Jesiden in nahöstlichen Quellen aus dem 12. Jahrhundert. Ihr Name geht vermutlich auf den frühislamischen Kalifen Yazid I. ibn Muawiya (680-683) zurück.
Die Jesiden leben vor allem im nördlichen Irak, viele sind jedoch vor der Terrormiliz “Islamischer Staat” (IS) geflüchtet. Ferner leben Jesiden in Nordsyrien, dem Nordwestiran und in der südöstlichen Türkei. Auch in Westeuropa gibt es inzwischen jesidische Gemeinden, nach Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung findet sich die weltweit größte Diasporagemeinde der Jesiden in Deutschland. Rund 150.000 Jesiden gehören ihr demnach an.
Der jesidische Glaube vereint Elemente verschiedener nahöstlicher Religionen, vor allem aus dem Islam, aber auch aus dem Christentum. Das religiöse Zentrum ist Lalisch, eine Stadt im Nordirak nahe Mossul. Im Jesidentum gibt es keine verbindliche religiöse Schrift. Die Glaubenslehren werden mündlich überliefert. Nach jesidischer Vorstellung ist Gott einzig, allmächtig und allwissend. Jesiden glauben nicht an ein Paradies oder eine Hölle, sondern an Seelenwanderung und Wiedergeburt.
Jesiden haben ein weltliches und ein religiöses Oberhaupt, den Baba Sheikh. Jeside ist nur, wer von jesidischen Eltern abstammt. Heiratet ein Jeside einen Andersgläubigen, gilt das als Austritt aus der Religionsgemeinschaft.
Jesiden wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verfolgt, sowohl religiös als auch – wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Kurden – ethnisch. Fundamentalistische Muslime betrachten sie als “ungläubig” und “vom wahren Glauben abgefallen”. Deshalb verbergen Jesiden in ihren Heimatgebieten häufig ihre Identität. Das Verhältnis zu Christen gilt nach eigenen Angaben als gut.
Die Jesidin Nadia Murad erhielt 2018 den Friedensnobelpreis. Die Irakerin war vom IS versklavt worden und setzt sich seit ihrer Befreiung als Menschenrechtsaktivistin ein. Im Juli 2022 sprach sich der Deutsche Bundestag dafür aus, die Ermordung von rund 5.000 Jesiden sowie die Verschleppung von 7.000 weiteren durch den IS im Jahr 2014 als Völkermord anzuerkennen.
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