Meinungsfreiheit als Lebensthema
Die Todes-Fatwa des iranischen Ayatollah Khomeini von 1989 überschattet Rushdies halbes Leben. Erst seit einigen Jahren trat der Autor wieder öffentlich auf. Nun wurde er bei einem Angriff in den USA schwer verletzt.
Von Paula Konersmann und Christoph Schmidt
(KNA) Washington. Unlösbar sind Person, Leben und Werk von Salman Rushdie mit einem Datum verknüpft: dem 14. Februar 1989. An diesem Tag verurteilte der iranische Religionsführer Ayatollah Khomeini den Schriftsteller mit einer Fat-wa zum Tode. Begründet wurde der islamische Richtspruch damit, dass Rushdies Buch “Die satanischen Verse”, ein Jahr zuvor erschienen, “gegen den Islam, den Propheten und den Koran” gerichtet sei. Erst seit einigen Jahren trat Rushdie wieder öffentlich auf, nachdem er lange Zeit unter Polizeischutz in verschiedenen Verstecken gelebt hatte.
Hat das barbarische Urteil den britisch-indischen Autor nun nach 33 Jahren doch noch eingeholt? Am Freitag stach ein Mann bei einer Lesung im US-Bundesstaat New York auf Rushdie ein, der schwer verletzt in eine Klinik geflogen wurde. Ein Auge, ein Arm und die Leber seien betroffen, so sein Agent. Zumindest brauche der Verletzte kein Beatmungsgerät mehr, hieß es zuletzt.
Bei dem mutmaßlichen Attentäter (24) aus New Jersey soll es sich Medienberichten zufolge um einen Sympathisanten des iranischen Regimes handeln. Sie berufen sich dabei vor allem auf Informationen über den Social-Media-Account des Verdächtigen. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen versuchten Mordes. Augenzeugen berichteten US-Medien, die Lesung am Freitag sei kaum gesichert gewesen. Seit Jahren wird Rushdies Lebensthema – der Kampf für die Meinungsfreiheit – drängender. Die Ermordung des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh 2004; der Streit um die Mohammed-Karikaturen 2005; der Anschlag auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift “Charlie Hebdo” 2015 – drastische Stationen einer Auseinandersetzung, die viele als Zusammenprall von westlicher und islamischer Kultur betrachten.
Rushdie, 1947 als Sohn muslimischer Eltern in Mumbai (damals Bombay) geboren, lebte viele Jahre unter Polizeischutz in Verstecken. Erst seit einiger Zeit tritt er wieder öffentlich auf. Über sein Leben unter der Todesdrohung berichtete der Autor, den Königin Elisabeth II. allen Protesten aus Teheran zum Trotz in den Adelsstand erhob, in seiner Autobiografie “Joseph Anton” von 2012. Mit 14 Jahren kam Rushdie nach England. In Cambridge studierte er Geschichte und arbeitete zunächst am Theater, als freier Journalist und Werbetexter. Das Buch “Mitternachtskinder” (1981), für das er den renommierten Booker Preis erhielt, war sein Durchbruch. In seinem jüngsten Roman “Quichotte” (2019) griff er aktuelle Themen wie Rassismus und Medienkritik auf. Die Textsammlung “Sprachen der Wahrheit”, die im vergangenen Jahr erschien, gibt Einblicke in sein politisch-philosophisches Denken.
Die Wahrnehmung Rushdies blieb geprägt durch das Todesurteil. Autoritäten der ägyptischen Al-Azhar-Moschee verrteilten die Fatwa gegen den Schriftsteller als illegal: Die Scharia gestatte es nicht, einen Menschen ohne Gerichtsverfahren zum Tode zu verurteilen. Im März 1989 widersprachen alle Mitgliedsstaaten der Organisation der Islamischen Konferenz der Fatwa – mit Ausnahme des Iran. Zwar erklärte Teheran 1998, man unterstütze die Tötung Rushdies nicht mehr, doch offziell zurückgenommen wurde die Fatwa nie.
Meinungsfreiheit sei ein Menschenrecht, betonte der Autor 2015 auf der Frankfurter Buchmesse. Der Iran boykottierte damals die größte Bücherschau der Welt – wegen Rushdies Auftritt. Allerdings bedrohten nicht nur Terror und Gewalt die Meinungsfreiheit, sondern auch Political Correctness, mahnte der Autor: Die französischen Aufklärer hätten vor 200 Jahren die Macht der Kirche gebrochen – heute gelte es erneut, gegen Versuche von Religionen anzugehen, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken.
Bereits nach dem Attentat auf die Redaktion von “Charlie Hebdo” bezeichnete Rushdie die Religion als “eine mittelalterliche Form der Unvernunft”. Mit modernen Waffen kombiniert werde sie “zu einer echten Gefahr unserer Freiheiten”, hieß es noch am Tag des Anschlags in einer Erklärung des Autors. Derartiger religiöser Totalitarismus habe “zu einer tödlichen Mutation im Herzen des Islam geführt”.
Bei aller Religionskritik mahnt Rushdie auch immer wieder zu Gelassenheit. “Den Krieg gegen den Terror kann man nicht gewinnen”, sagte er einmal der Deutschen Welle. Man könne dem Terror nur trotzen, so der Schriftsteller, indem man nicht zu Hause bleibe – und der Furcht keinen Raum gebe.
Stichwort
Fatwa Bonn (KNA) Eine Fatwa ist ein islamisches Rechtsgutachten, das von einem dafür ausgebildeten Rechtsgelehrten (Mufti) erstellt wird. Fatwas können alle Fragen des alltäglichen, religiösen, wirtschaftlichen und sittlichen Lebens betreffen. Sie legen fest, ob der fragliche Sachverhalt nach Ansicht des Verfassers dem islamischen Scharia-Recht entspricht oder nicht.
Der arabische Begriff bedeutet so viel wie “Meinung zu einer Rechtsfrage”. Gewöhnlich verfasst der Mufti eine Fatwa in schriftlicher Form. Fatwas können nicht nur von Institutionen in Auftrag gegeben werden. Jeder Muslim, der in praktischen Alltagsfragen Auskunft für seine Lebensführung benötigt, kann sich an einen Mufti seines Vertrauens wenden, um ein solches Gutachten zu einem speziellen Thema einzuholen.
Die Verbindlichkeit einer Fatwa richtet sich auch nach der Autorität des Rechtsgelehrten – und der Akzeptanz durch die Gläubigen. Sie ist damit nicht automatisch für alle Muslime bindend. Häufig bestehen zur selben Frage je nach Mufti unterschiedliche Rechtsauffassungen. Allerdings gibt es in vielen islamischen Staaten spezielle Mufti-Behörden, um die Einheitlichkeit der islamischen Rechtspflege zu gewährleisten.
Fatwas wurden im Islam zu einer festen Einrichtung, weil die aus der islamischen Frühzeit stammenden Rechtsquellen Koran und Prophetentradition (Sunna) bei weitem nicht alle Fragen des zivilen und religiösen Lebens beantworten, zumal heutzutage. Themen moderner Fatwas sind daher auch vornehmlich Entwicklungen im sozialen, medizinischen, technischen und politischen Bereich.
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