Berlin (KNA) Der Islam-Experte Murat Kayman übt heftige Kritik am Umgang mit dem Islam in Deutschland. „Die Islam-Politik der letzten zehn bis 15 Jahre ist erkennbar gescheitert“, sagte der frühere Justiziar des deutsch-türkischen Moscheeverbandes Ditib am Sonntag im Interview der „Welt“.
Es sei nicht gelungen, die zunächst durch das Ausland geprägten Religionsgemeinschaften in eine deutsche Struktur zu überführen, kritisierte der Rechtsanwalt und Publizist. So habe die Türkei und ihr Präsident Recep Tayyip Erdogan weiterhin Erfolg damit, dass sich Muslime nicht als deutsche Bürger, sondern als nationale türkische Minderheit im Ausland fühlten. „Und dafür sind die Moscheen ein entscheidender Hebel.“
Aus Sicht Kaymans ist es nicht entscheidend, ob die Imame in der Türkei oder in Deutschland ausgebildet werden. Entscheidend sei vielmehr, welche Haltung die Muslime in Deutschland zur Gesellschaft entwickelten. „Ihre muslimische Prägung sollte fruchtbar werden für die gesamte Gesellschaft. Davon sind wir meilenweit entfernt.“
Um die muslimischen Gemeinden aus der Abhängigkeit aus dem Ausland zu lösen, sollte die Politik umdenken, fordert der Jurist: Es brauche keine geförderten und angestellten Vollzeit-Imame, das Vorbeten könnten auch erfahrene Gemeindemitglieder übernehmen. Was in den Moscheen-Gemeinden an sozialer und pädagogischer Arbeit passiere, könne der Staat fördern, ohne seine Neutralitätspflicht zu verletzen.
Kayman verwies auf einen starken Einfluss, den radikale islamistische Influencer über Soziale Netzwerke auf muslimische Jugendliche in Deutschland hätten. „Ihre Botschaft lautet zusammengefasst: Der deutsche Staat und die deutsche Gesellschaft wollen nicht, dass ihr anständige Muslime seid. Nur wenn ihr eure Religion aufgebt, sind die Deutschen bereit, euch zu akzeptieren.“
Die deutsche Gesellschaft werde als Gegner definiert, sagte er. Vielen jungen Muslimen sei ihre Religion sehr wichtig, obwohl sie keine religiöse Praxis hätten. „Das ist etwas, was ihnen Selbstwert vermittelt, etwas Eigenes.“ Extremisten versuchten, ihnen zu suggerieren, dass ihre Religion unter Beschuss stehe und man sie gegen die Mehrheitsgesellschaft verteidigen müsse, im Zweifel mit Gewalt.
Kayman verwies in diesem Zusammenhang auf einen starken Antisemitismus, den es in vielen muslimischen Strukturen und an der Basis gebe. „Auch die Repräsentanten, die man sich auf Neujahrsempfänge oder ins Schloss Bellevue einlädt, lassen das laufen und treten dem nicht entgegen.“ Vielfach begnüge sich die deutsche Politik mit symbolischen Gesten der Verbandsvertreter, ohne eine tatsächliche Bekämpfung dieses Problems mit Nachdruck zu fordern.
Der Rechtsanwalt und Publizist Kayman war von 2014 bis 2017 Justiziar im Ditib-Bundesverband, bis er sich von der Ausrichtung des Moscheeverbandes distanzierte und austrat. Später gründete er die Alhambra-Gesellschaft mit, einen Zusammenschluss moderat konservativer sowie liberaler deutscher Muslime.
© KNA